In Zeiten einer globalen Pandemie werden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auf die Probe gestellt. So auch die Ernährungssicherheit. Im Interview beschreibt Rudolf Anschober, Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, in welchen Wechselwirkungen nationale Shutdowns und die Lebensmittelproduktion stehen und warum Gentechnik-freie Lebensmittel in Österreich ein großer Erfolg sind.

Herr Minister, angesichts dessen, dass Sie für beide Themenbereiche zuständig sind, liegt die Frage natürlich nahe: Wie beeinflusst die aktuelle Pandemie die Ernährungssicherheit – in Österreich, aber auch global?

Die Pandemie und die Ernährungssicherheit stehen sicherlich in einer Wechselwirkung. Nationale Shutdowns beeinflussen die Ernährungssicherheit nicht nur direkt in den Ländern, in denen sie als notwendige Maßnahme gesetzt werden, sondern schaffen auch Folgen in anderen Ländern. Wenn beispielsweise in zahlreichen EU-Ländern der Konsum von Textilien einbricht, bringt das Textilfabriken in Asien in Not. Arbeitnehmerinnen werden entlassen. Ohne Einkommen können diese dann weder sich, noch ihren Familien Lebensmittel kaufen. Die Pandemie macht sicherlich auch Schwächen in der globalen Lebensmittelproduktion deutlich. Wenn die Lebensmittelproduktion vor Ort nicht zum Ziel hat, die Versorgung der Menschen in der Region in ausreichender Quantität und Qualität sicherzustellen, sondern primär Waren für den Weltmarkt produzieren will, dann ist sie sehr anfällig für Verwerfungen. 

Nach Corona-Clustern in Fleischbetrieben oder auch bei Erntehelfern: Was wurde unternommen, um speziell die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion abzusichern?

Bei landwirtschaftlichen Betrieben wurden, in Zusammenarbeit mit dem BMLRT und Stakeholdern, Hygienekonzepte erarbeitet. In den Lebensmittelproduktionsbetrieben, besonders im Fleischbereich, gelten grundsätzlich strenge hygienische Vorgaben, die in den „EU-Hygieneverordnungen“ geregelt sind und zwingend umgesetzt werden müssen. Das Arbeitsinspektorat hat vermehrt Kontrollen durchgeführt. Zusätzlich haben die meisten Betriebe eigene Pläne entwickelt, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Dies reicht von ergänzenden hygienischen Maßnahmen außerhalb des Produktionsbereiches bis zum Personalmanagement wie z.B. geregelter Personalfluss im Betrieb, gestaffelter Arbeitsbeginn und Pausenzeiten.

Während des Lockdowns, aber auch danach war ein starker Trend hin zu regionalen, heimischen Produkten zu verzeichnen. Scheinbar wird der Wunsch, zu wissen wo Lebensmittel herkommen, in Krisenzeiten verstärkt. Sehen Sie das als nachhaltigen Trend? Und. Welche Maßnahmen werden gesetzt, um die regionale Produktion zu stärken?

Die Corona-Pandemie hat offensichtlich auch zu einer Verhaltensveränderung beigetragen: Der Verkauf von Bio-Lebensmitteln ist in wichtigen Bereichen spürbar gestiegen, das Vertrauen in Billig-Lebensmittel sinkt zunehmend. Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten sind bereit, mit einem fairen Preis biologische Lebensmittel aus der Region und damit auch den Tierschutz zu stärken. Wir haben im Regierungsübereinkommen vereinbart, dass wir zur Stärkung einer nachhaltigen regionalen Lebensmittelproduktion an mehreren Stellschrauben drehen. Zum einen wollen wir die Nachfrage in der Region durch einen Fokus in der öffentlichen Beschaffung erhöhen. Zum Zweiten wollen wir durch eine transparente Kennzeichnung der Lebensmittel den Konsumentinnen und Konsumenten ein gutes Instrument in die Hand geben, Produkte aus der Region mit einem Mehrwert zu erkennen. Zum Dritten wollen wir in den Bereichen, in denen der österreichische Rechtsrahmen nicht weitergeht als die Mindestanforderungen, die die EU vorschreibt, an die Erfolge, beispielsweise der heimischen Eierproduktion, anschließen und durch höhere Qualität auch nachhaltige ökonomische Erfolge sichern.

© BKA / Andy Wenzel.

Österreichische Lebensmittel liegen in vielen wichtigen Qualitätsaspekten im europäischen Vergleich sehr gut: z.B. mit einem hohen Bioanteil, hohen Tierwohlstandards, einem starken Trend zu Regionalität, und natürlich breiten Angebot an Gentechnik-freien Produkten. Worauf führen Sie das zurück?

Für die Österreicherinnen und Österreicher haben Umweltschutz, Tierschutz, die Gentechnik-Freiheit und die regionale Produktion gesunder Lebensmittel einen hohen Stellenwert. Dies spiegelt sich in der landwirtschaftlichen Produktion, im Kaufverhalten der Menschen, in den Regalen des LEH und auch in der politischen Rahmensetzung wieder.

Gentechnik-freie Produktion ist ja seit den 90er Jahren ein ganz spezifisches Qualitätsmerkmal österreichischer Produkte, um vieles stärker als in anderen europäischen Märkten. Worauf führen Sie das zurück? 

Mit dem Gentechnikvolksbegehren im Jahre 1997 konnten wir einen Riesenerfolg für die Gentechnikfreiheit feiern. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft haben in einer breiten Allianz zahlreiche Informationsveranstaltungen durchgeführt und schließlich über 1,2 Millionen Österreicherinnen und Österreicher motiviert, das Gentechnikvolksbegehren zu unterstützen. Umfragen zeigen, dass diese Haltung gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft und gegen die Gentechnik auf dem Teller, bis heute recht konstant ist.

Mittlerweile sind viele andere EU-Mitgliedsstaaten nachgezogen – und erweitern ebenfalls rasch das Angebot Gentechnik-freier Produkte. Allen voran Deutschland, aber auch Slowenien, Italien, Frankreich und weitere. Kann die Gentechnik-Freiheit zum europäischen Qualitätsmerkmal werden? Was müsste sich dazu am Binnenmarkt verändern? 

Ausgehend von Oberösterreich und der Toskana haben sich seit 2003 immer mehr Regionen in Europa zum Netzwerk der Gentechnikfreien Regionen zusammengeschlossen. Wenn die gesamte Europäische Union eine gentechnikfreie Region würde, wäre das sicherlich ein starkes Signal. Wenn die Frage darauf abzielt, wie die Gentechnikfreiheit EU-weit ausgelobt werden kann und Produkte mit einem Gentechnikfrei-Siegel am Binnenmarkt gehandelt werden können, dann brauchen wir dafür eine Harmonisierung der Produktions- und Kontrollstandards.

Der Einsatz der neuen Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, also neue Technologien wie z.B. CRISPR/Cas oder Talen, wird derzeit in Brüssel heftigst diskutiert. Was unternimmt Österreich, um auch für Produkte aus der neuen Gentechnik die aktuell klar in den EU-Gentechnikgesetzen geregelte Vorgangsweise bei möglichen Zulassungsanträgen – also: Vorsorgeprinzip, Risikobewertung, Kennzeichnungspflicht – langfristig zu verankern?

Der EuGH hat klargestellt, dass auch die sogenannte „neue Gentechnik“ unter das Regelwerk der Gentechnik fällt. Für sie gilt deshalb das idente Zulassungsverfahren mit einer umfassenden Risikobewertung und dem Monitoring von Langzeitfolgen. Meine Position ist, dass es keine Gentechnik durch die Hintertür geben darf. Diese Sicht vertreten wir offensiv bei allen Diskussion auf EU-Ebene, zuletzt bei den Schlussfolgerungen zur Farm to Fork-Strategie.

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