Das renommierte Architekturbüro HNP architects steht für innovative und grüne Quartiersentwicklung und ist im Projekt „Am Seebogen“ in der Seestadt Aspern federführend. Die Austrian Roadmap 2050 ist mit Partner Oliver Oszwald im Gespräch über smarte Architektur und lebenswerte Grätzel in unserem Zeitalter, über Bauten, welche die Gesellschaft bewegen und Visionen und Innovationen im Bereich Büro- und Wohnhäuser.

Austrian Roadmap 2050: Für die Architektur der Wohn- und Gewerbeimmobilie „Am Seebogen“ ist ihr Architekturbüro verantwortlich. Im Hinblick auf die Seestadt, wie sehen Sie die Wohnungssituation von Österreich in Zukunft?

Oliver Oszwald: Wir benötigen mehr Verdichtung in ländlichen Gegenden und besser funktionierende Quartiere in Österreich. Vor allem außerhalb der Städte! Die Flächen für Bodenversiegelung und Infrastruktur die wir für unsere jetzige Art zu wohnen benötigen, ist entschieden zu hoch. Das Einfamilienhaus – im worst case mit zwei Autos davor – ist ein energiepolitischer und ökologischer Supergau. Insbesondere die Politik hat es verabsäumt rechtzeitige und stringente Maßnahmen zu setzen. Die Zersiedelung wird begrüßt und subventioniert. Die Gesinnung unserer gesamten Gesellschaft ist weit ab von einer Kreislaufwirtschaft. Hier besteht akuter Handlungsbedarf in der Raumplanung einerseits und Aufklärung der Bevölkerung andererseits.

Vogelperspektive „Am Seebogen“ © Schreiner, Kastler – Büro f. Kommunikation GmbH

ARM2050: Was verstehen Sie unter smarter Architektur in unserem Zeitalter?

OO: Für eine smarte Architektur ist die Definition von Zielen und darauf basierenden greifbaren Kennwerten erforderlich. Automatisierte und vernetzte Gebäudetechnik in Kombination mit einer gut anpaßbaren „Hardware“ – dem Gebäude selbst – ist dafür unabdingbar. Wir von HNP architects sehen die Steigerung des Wohnkomforts und Energiesparmaßnahmen als die wesentlichen Hauptziele von smarter Architektur an. Die Kennwerte variieren je nach Bauaufgabe, Budget und Nutzeranforderung. Um hier auch für die Zukunft intelligente Lösungen in bereits bestehenden Gebäuden anbieten zu können, verstehen wir die Maximierung der Flexibilität eines Gebäudes als wichtiges Merkmal, welches es bereits in der ersten Planungsphase umzusetzen gilt. Nach- und Umnutzungen sind bereits bei der Konzeption eines Projekts zu berücksichtigen. Das ist insbesondere aus Gründen der Nachhaltigkeit bedeutend, da Gebäude eine wesentlich längere Lebensdauer als deren eingebaute Steuerungstechnik aufweisen. Teure und ressourcenintensive Umbauten respektive Abrisse gilt es unserer Ansicht nach – nicht nur aus ökologischen Gründen – zu vermeiden.

Das Team von HNP architects © HNP architects

ARM2050: Ein Zielvorhaben von Ihnen ist eine Architektur, die das Spiegelbild einer Gesellschaft abbildet. Mit welchen Attributen verbinden Sie dieses Statement? Welche Komponenten spielen hierbei eine entscheidende Rolle?

OO: Was die Gesellschaft bewegt wird gebaut. Früher waren das Burgen, Kirchen und Schlösser – heute sind es Bürogebäude, Museen, Stadien und Bildungsbauten. Die Zurschaustellung von Macht, Einfluss und Geld waren dabei seit jeher wesentliche Eigenschaften.

Die Materialwahl und formale Ausgestaltung änderte sich wie die Mode. Zwar nicht in so kurzen Zeiträumen wie jetzt, jedoch stetig.

Stuck und Gold wurde von Stahl, Glas und Stein ersetzt. In den letzten Jahrzenten wurde versucht den Transparenzgedanken mit vielen Glasflächen zu vermitteln. Das mag zwar vordergründig stimmen und auch für die Gebäudenutzer durchaus angenehm sein (vorausgesetzt die Verschattungsvorrichtungen funktionieren im Sommer), ändert jedoch im Grunde nach nichts am Anspruch des Auftraggebers die Überlegenheit zu vermitteln.

Diese tradierte Sichtweise wie Gebäude zu entwickeln sind, ist meiner Ansicht nach jedoch überholt. Wenn Werte transportiert werden sollen funktioniert das heutzutage über die richtige Materialwahl und Formensprache. Holzbauten sind wieder als solche erkennbar und werden nicht verputzt um „stabile“ Massivbauten zu imitieren. Das ist jetzt kein Aufruf für „laute“ Architektur – die Form muß selbstverständlich auch zur Bauaufgabe passen. Nicht alles, was verdreht und schief ist, ist automatisch gut gestaltet und strenge Gebäudeformen sind nicht von vornherein nicht abzulehnen.

Letztendlich gilt es hier – in engem Dialog mit den Bauherrn – die für die Lage und Bauaufgabe optimale Architektur zu entwickeln. Dafür wünsche ich mir persönlich mehr Freiheit in punkto Flächenwidmung und Bebauungsbestimmungen.

ARM2050: Welche Visionen und Innovationen sehen sie im Bereich von Büro- und Hochhäusern in Bezug auf smarter Architektur? Gibt es hierzu auch ein Umdenken, ähnlich wie bei Wohnhäusern?

OO: Neben der Steigerung des Nutzerkomforts sind bei Bürogebäuden vor allem Maßnahmen zur Einsparung von Energie ein wesentliches Thema smarter Architektur. Die zuvor besprochene Flexibilität eines Gebäudes ist hier viel immanenter zu betrachten als bei Wohngebäuden, da die Nutzungsintervalle der einzelnen Mieter kürzer sind. Je früher der Bauherr zusammen mit seinen Architekten und Fachplanern die Ziele und Kennwerte definiert, desto besser für eine smarte Architektur. Die Einbindung der TGA-Planung bereits in der Grundlagenermittlung ist meiner Ansicht nach hierfür zielführend. In Zukunft wird es bei Bürogebäuden viel mehr automatisierte Vorgänge geben: Zutrittskontrollen, Raumbuchungssysteme, auf die Vorlieben eines Nutzers abgestimmte Raumkonditionierung und Beleuchtung etc. Diese Systeme werden plattformübergreifend miteinander kommunizieren und sich intuitiv bedienen lassen bzw. im Hintergrund arbeiten, um den Nutzer nicht zum Sklaven der Technik werden zu lassen.

Stadtentwicklungsgebiet „Village im Dritten“

ARM2050:Was stellt für sie ein Grätzel mit viel Lebensqualität dar? Welche Faktoren müssen hierbei vereint werden?

OO: Es muß eine Seele haben. Dafür bedarf es Bewohner:in/“Benutzer:in die sich mit dem Grätzel identifizieren können und wollen. Aber wie erreicht man das? Ein guter Nutzungsmix ist dafür genauso wesentlich, wie eine darauf abgestimmte Architektur. Gebäudehöhen, Bebauungsdichten, die Ausgestaltung der Sockelzonen haben sich an den Bedürfnissen der im Grätzel lebenden Menschen zu orientieren. Der Straßenraum muß aufgewertet werden. Ein Grätzel lebt von Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, die sich auch in diesem bewegen und aufhalten wollen.

ARM2050: Welche Herausforderungen und Hürden gibt es bezüglich, wenn man an die Lebensqualität in Österreichs Städten denkt?

OO: Aktuell wird (noch) zu viel versiegelt, eintönig ausgestaltet und gebaut. Wohnbauten müssen daher wieder auf einen, den menschlichen Sehgewohnheiten entsprechenden Maßstab gebracht werden. Durch Straßen- und Gebäudebegrünungen, die Schaffung gegliederter und abwechslungsreich gestalteter Freiräume und durch ein gutes Angebot für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen gilt es mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum anzubieten.

Die formale Ausgestaltung – ihre Ästhetik – hat daher nicht allein bautechnischen und –rechtlichen Vorgaben zu folgen. Es ist Aufgabe der Architekten, sich dieser Gratwanderung zu stellen. Ein perfekt optimiertes Gebäude, dessen Fassade jedoch innerhalb kurzer Zeit Mangelns Nutzerakzeptanz neu herzustellen, kann demnach nicht das ökologische und ökonomische Ziel sein. Es kann an dieser Stelle auch von formaler Nachhaltigkeit gesprochen werden, die sich jedoch auf alle Bereiche der Nachhaltigkeit positiv auswirkt.

ARM2050: Welche Herausforderungen schätzen Sie persönlich beim Thema smarter Architektur?

OO: Make ist smart but keep it simple! Die Technik darf für den Nutzer nie im Vordergrund stehen. Die maximale Flexibilität eines Gebäudes ist auch für Nutzungsszenarien zu betrachten, welche beispielsweise erst Jahrzehnte nach der Errichtung eintreten können.

ARM2050: Was ist ihre Vision, wenn sie an grüne Architektur und Smart-Cities in Zukunft denken? Was sollte aus gesellschaftlicher und politischer Sicht stärker in Angriff genommen werden?

OO: Wir benötigen eine bessere Aufenthaltsqualität im Stadtraum durch Bäume, Wasserflächen, Stadtmobiliar und gegliederten Freiflächen. Ergänzend dazu können wir mit teilweiser Fassadenbegrünung das Mikroklima verbessern. Neben privaten Freiräumen verbessern gut nutzbare und begrünte semiprivate Freiräume – auch bei Bürogebäuden den Wohn-/Arbeitskomfort.

Gesellschaftlich ist eine breit angelegte Aufklärungskampange zur Verbesserung der Flächennutzung und der Umsetzung Energie sparender Maßnahmen erforderlich. Insbesondere in ländlichen Gegenden besteht noch wesentlicher Handlungsbedarf in der Art und Weise, wie Flächen gewidmet werden.

ARM2050: Herzlichen Dank für das spannende Interview!

(22. März 2022, Sandra Beck)

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