Knapp 40 % der Österreicher leben ihren Traum vom Eigenheim, das entspricht rund 34 % der Hauptsitzwohnungen. Die Verteilung nach Bundesländern fällt dabei ganz unterschiedlich aus: Das Burgenland liegt mit dem Anteil an Wohnungen in Einfamilienhäusern von 68,5 % klar an der Spitze. Auch Niederösterreich liegt mit 52,2  % deutlich über dem Gesamtdurchschnitt von 33,9 %, während in Wien naturgemäß der Schnitt mit 8,1 % ebenso deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt liegt.

Die Folge daraus: Österreich ist mit durchschnittlich 42 km2 pro Jahr (entspricht der Größe von Eisenstadt) – oftmals zitiert – Europameister im Bodenverbrauch. Diese traurige Tatsache wird durch die Errichtung von zusätzlicher „Infrastruktur“ (Einkaufs- und Fachmarktzentren, Straßenbau etc.) auf der wortwörtlich genommenen (vormals) grünen Wiese zusätzlich befeuert, die Versiegelung des Bodens macht pro Jahr rund 41 % bis 42 % der jährlichen Flächeninanspruchnahme (15 – 20 km2) aus.

Oliver Oszwald, Partner bei HNP architects: „Der Traum Vieler vom Wohnen im Grünen ist nachvollziehbar. Allerdings hat es die Politik verabsäumt, frühzeitig auf die Themen Zersiedelung, Bodenversiegelung und Reduktion des PNV zu reagieren. Besonders die Streusiedelungen am Rande von Ortschaften sorgen nicht nur durch die Errichtung der Häuser selbst, sondern auch durch den Bau von Straßen und weiterer Infrastruktur für eine deutlich erhöhte Versiegelung pro Kopf.“

Und weiter: „Die Leistungen, die Gemeinden für die Versorgung der Streusiedelungen erbringen müssen, stellen auch weitaus höhere budgetäre Belastungen dar, das heißt die Gemeindeausgaben steigen pro Einwohner und Einwohnerin um ein Vielfaches.“

„Häuslbauer“, ihre Träume und die Realität

Das Einfamilienhaus suggeriert auch heute noch in seiner (emotionalen) Konzeption für viele Sicherheit auf eigenem Grund, Gestaltungsfreiheit und Privatsphäre. Dies manifestiert sich nicht nur in den meterhohen Thujenhecken (mittlerweile teilweise abgelöst durch pflegeleichtere Stein-Gabionen), fragwürdige Farbgestaltungen und ebensolche Architektur inklusive entsprechender Dekorelemente – ganz im Sinne von „My home is my castle“, oder wie es der Soziologe Erving Goffman so schön formulierte: „Das Einfamilienhaus als Territorium des Selbst.“

Doch neben den gestalterischen Aspekten ortet Oliver Oszwald („Architektur ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, das trifft leider auch allzu oft auf die Planung und Ästhetik von Einfamilienhäusern zu”) ein viel größeres Problem: „Einfamilienhäuser haben ein Volumen-zu-Oberflächen-Verhältnis, welches absolut entgegen jeder vernunftbasierten Logik des Energieeinsparens steht. Gerade in Zeiten, in denen wir von Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und steigenden Energiepreisen sprechen, sind Einfamilienhäuser durch ihre Ausdehnung in der Kubatur die denkbar schlechteste Variante. Hier braucht es dringend ein Umdenken der Bevölkerung, aber auch der Politik.“

Selbst der Einsatz neuer Technologien zur Energiegewinnung löst dieses Problem nicht. „Es wird lediglich an der Oberfläche gekratzt und nicht an der Beseitigung der Ursache des Problems gearbeitet”, so Oliver Oszwald weiter. Daneben nimmt der Individualverkehr deutlich zu. „Wenn ich die wichtigsten Einrichtungen des täglichen Bedarfs – Geschäfte, Schulen, Ärzte etc. – nicht in Gehweite habe, brauche ich ein Auto. Und meistens ein zweites dazu, damit man sich die Wege untereinander aufteilen kann. Nicht umsonst hat das Burgenland mit dem höchsten Einfamilienhausanteil auch die höchste Rate an Zweitfahrzeugen in ganz Österreich”, bemerkt Oszwald.

Billiger Grund, hohe Mehrkosten

Nicht zuletzt trägt auch das scheinbar „billige“ Wohnen am Land seinen Teil zur Zersiedelung bei. „Hier handelt es sich oft schlichtweg um einen Mangel an Information und Wissen. Den Menschen wird vorgegaukelt, dass es mit dem Kauf eines günstigen Grundstücks und eines gerade noch finanzierbaren Fertigteil-Eigenheims getan ist”, kritisiert Oliver Oszwald. Denn die tatsächlichen Mehrkosten werden in kaum einer Haushaltsrechnung berücksichtigt: Neben den gestiegenen Baukosten, die private DIY-Hausbauer ebenso treffen wie Bauunternehmen, spielen beispielsweise auch die zusätzlichen Mobilitäts- und Energiekosten sowie höhere Erhaltungskosten eines Einfamilienhauses eine nicht unerhebliche Rolle. „Bereits vor Jahren war eine Entwicklung der Energiepreise, wie wir sie aktuell vorfinden, absehbar. Vielleicht nicht mit dieser Geschwindigkeit, jedoch mit Sicherheit“, so Oszwald.

Belebung und Attraktivierung von Ortskernen

Die Zersiedelung, die an den Rändern der Ortschaften stattfindet, findet ihren Widerhall auch in trostlosen Ortskernen, die ihren traditionellen Funktionen als Zentrum der Gemeinschaft und Ort der Kommunikation beraubt wurden. Leere Geschäftslokale, Wirtshäuser, aber auch Wohngebäude prägen im ganzen Land – regional unterschiedlich stark ausgeprägt – das Bild der Gemeinden. Dies wurde nicht zuletzt auch durch die Errichtung von Fachmarktzentren und Shoppingmeilen am Ortsrand befeuert.

Die historisch gewachsene und oft vernachlässigte Struktur von Ortschaften stellt für Oliver Oszwald eine Chance nicht nur für die Wiederbelebung, sondern auch für ein nachhaltiges Leben im ländlichen Raum dar: „Die Verdichtung von bestehenden Ortskernen und Siedlungsflächen ist nicht nur ökologisch, sondern auch sozial sinnvoll. Auch hier ließen sich beispielsweise – wie in den urbanen Zentren – moderate vertikale Revitalisierungsprojekte und Nachverdichtungen umsetzen, die zusätzlichen, auch leistbaren Wohnraum schaffen und einen positiven Beitrag zur Energiebilanz leisten.“

Dazu benötigt es, so Oszwald weiter, nicht nur den Willen und bis zu einem gewissen Grad auch den Mut der Gemeinden, sondern auch eine Änderung der Verantwortungsgebiete: „Die Gemeinden stehen in einem Wettbewerb zueinander: Jede Ansiedelung – ganz gleich ob betrieblich oder privat – wird zunächst als Einnahmequelle gesehen. Dies verhindert oft eine gesamtheitliche Raum- und Standortplanung, die allerdings nur sinnvoll überregional gelöst werden könnte. Diese Maßnahmen würden insgesamt ein nachhaltiges Landleben ohne Verluste an Lebensqualität ermöglichen.“

Allgemeines über HNP architects

Das Architektur- und Ingenieurbüro HNP architects ist in der Öffentlichkeit vor allem durch Büro- und Hochhausbauten bekannt. Ein Großteil davon steht in Wien. HNP architects entwirft aber auch Wohnhäuser und Inneneinrichtungen. Partner des Architekturbüros sind Heinz Neumann, Oliver Oszwald und Florian Rode. Das Büro beschäftigt rund 60 Mitarbeiter und arbeitet aktuell an rund 20 Projekten.

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