Die Optimierung von Gebäuden hinsichtlich ihrer Klimaresilienz: So will das Wiener Start-Up GREENPASS die Gebäudeplanung perfektionieren. CEO Florian Kraus war im Gespräch mit der Austrian Roadmap 2050. Über die Kosten und Nutzen von Gebäudeplanungen, die Mission und Vision lebenswerter Städte und die Herausforderungen im Zusammenspiel mit Nachhaltigkeit und grüner Architektur.

Austrian Roadmap 2050: Greenpass ist ein wissenschaftlich entwickeltes und softwarebasiertes Verfahren zur Bewertung und Optimierung der Umwelt- und Klimaauswirkungen von Immobilien und Freiräumen – zur Zertifizierung & Stärkung der Klimaresilienz. Wie kann man sich den Ablauf dieses Verfahrens vorstellen?

GREENPASS CEO, Florian Kraus. © GREENPASS

Florian Kraus: Greenpass ist das weltweit 1. Software-as-a-Service (SaaS) Tool zur Bewertung, Optimierung und Zertifizierung von Umweltauswirkungen in der Stadt und kann einerseits bei Neubauprojekten als auch im Bestand angewendet werden – um klimaresiliente Stadtplanung und Architektur zu gestalten. Anwendbar für einzelne Bauplätze, Freiräume, Stadtteile bis hin zur ganzen Stadt. Dafür gibt es eine Toolbox mit maßgeschneiderten Lösungen für die jeweilige Situation und Planungsphase. Um die größte Wirkungsleistung zu erzielen, startet man idealerweise so früh wie möglich im Planungsprozess und begleitet diesen über die ganze Planungsphase bis zur Umsetzung. Dafür gibt es die passenden Tools, angefangen bei einem Schnellcheck mittels Machine-Learning oder verschiedenen auf Expertensimulationen (z.B. ENVI-met) basierende Umwelt- und Klimachecks bis hin zur Vorzertifizierung sowie auch offiziellen Zertifizierung. Die Bewertung basiert dabei auf einem digitalen Zwilling aus der Greenpass Software und bis zu 50+ wissenschaftlich entwickelte Indikatoren in bis zu 6 verschiedenen Themenfeldern – angepasst an die jeweilige Situation. Mit gezielten Maßnahmen wird die Situation wirkungsvoll hinsichtlich Kosten und Nutzen optimiert. Man schaut sich die Planung dabei wiederholt digital an und bewertet und optimiert diese gemeinsam. Schlussendlich gibt es einen Gesamterfüllungsgrad für das Projekt bzw. eine zugeordnete Zertifikatsstufe von Zertifiziert über Silber, Gold bis zu Platinum. Die Greenpass Zertifizierung ist dabei klar synergetisch und erweiternd zu Gebäudezertifizierungen und erlaubt eine gesamtheitliche Betrachtung für nachhaltigen und zukunftsfähigen Immobilien und deren Freiräume. Also kurz zusammengefasst: Urbane Klimawandelanpassung war noch nie einfacher!

ARM2050: Welche Indikatoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewertung von Gebäuden & Freiräumen hinsichtlich ihrer Klimaresilienz?

FK: Klimaresilienz umfasst nicht nur das Mikro- bzw. Stadtklima sondern auch die wichtigen Themenfelder Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und Kosten. Diese spielen zusammen und sind für eine erfolgreiche urbane Klimawandelanpassung auch unerlässlich, da bestimmte Maßnahmen im weiteren Sinne auch mit gewissen Investmentkosten verbunden sind. Für die Bewertung unterscheiden wir zwischen verschiedenen Indikatorentypen. Die wichtigsten Schlüsselindikatoren für die Klimaresilienz sind dabei die sogenannten ‚Key Performance Scores‘. Dazu zählt z.B. der Thermische Abluftstrom, der angibt wie das Projekt die Umgebung aufheizt oder abkühlt. Oder der Thermische Komfort, da wir Menschen ja nicht die Lufttemperatur fühlen, sondern eine gefühlte Temperatur. Die Thermische Speicherfähigkeit von den eingesetzten Materialien am Gebäude und im Freiraum ist ein weiterer wichtiger Indikator. Auch der Abflussbeiwert, der angibt welcher Anteil des Niederschlagwassers in die Kanalisation abläuft oder für die Verdunstung bzw. Kühlleistung der Pflanzen zur Verfügung gestellt werden kann. Der Indikator zur CO2 Speicherung komplementiert die fünf wichtigsten Scores. Dazu gibt es noch viele weitere wichtige und aussagekräftige Indikatoren in unterschiedlichen Fachbereichen wie z.B der Beschattungsfaktor, Evapotranspiration, Nächtliche Abkühlung, Wasserspeicherung und -bedarf, Grün- und Blattfläche, Kühlgradstunden Gebäude uvm. Sowie eben auch die Investitions- und Pflegekosten für die grüne & blaue Infrastruktur – also für Pflanzen und Wasser. Zusätzlich dazu gibt es auch noch erweiternd wichtige qualitative Bonusindikatoren in den Bereichen: Biodiversität, Ressourcen, Soziales und Mobilität. Wie z.B. die Förderung der Artenvielfalt von Flora & Fauna, unterschiedlichen Vegetations- und Habitatsstrukturen, Bienen- und Vogelweiden, Vermeidung von Tierfallen, Verwendung von nachhaltigen Baustoffen, Gemeinschaftsbereiche, Barrierefreiheit, E-Mobility uvm.

ARM2050: Die Einschätzung von Gebäuden & Freiräumen in Bezug auf ihre Klimaresilienz scheint ein hochkomplexer Prozess zu sein, bei welchem viele individuelle Indikatoren berücksichtigt werden müssen. Wie können diese individuell an die Unternehmen angepasst werden?

v.l. Florian Kraus (CEO), Bernhard Scharf (CTO). © GREENPASS

FK: Für die Klimaresilienz spielen viele komplexe Bereiche zusammen, weshalb hier eine gesamtheitliche und standardisierte Bewertung unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig gibt es in dem komplexen urbanen Wirkungsgefüge auch durchaus Wechselwirkungen. Hier gilt es, gemeinsam mit den technischen, rechtlichen & ökonomischen Rahmenbedingungen nach – interdisziplinär im Team die beste Lösung zu finden und den Output hinsichtlich Kosten/Nutzen zu optimieren. Greenpass dient hier als Kontroll- und Steuerungsinstrument und unterstützt hier gemeinsam mit unseren mehr als 40+ ausgebildeten Urban Climate Architects (UCA)s, Bauträger, Entwickler, Planer und Städte bzw. Gemeinden dabei, klimafitte Immobilien & Freiräume zu gestalten. Unterstützt von wissenschaftlich fundierten aussagekräftigen und einfach verständlichen softwarebasierten Analysen für faktenbasierte Entscheidungen. Die Ergebnisse fließen aber nicht nur in den Planungsprozess ein, sondern können und sollen vor Allem auch aktiv in der Kommunikation eingesetzt werden. Ganz nach dem Motto – tue Gutes, und rede darüber! Jede Maßnahme zählt dabei und ist wichtig für eine erfolgreiche urbane Klimawandelanpassung für uns Menschen.

ARM2050: Was sind die übergeordneten Ziele von Greenpass und wie sind diese mit den Zielen von Unternehmen zu vereinbaren?

FK: Unsere Mission & Ziel ist ganz klar: lebenswerte Städte zu ermöglichen – und dies weltweit! Wir arbeiten seit mehr als 10 Jahren fleißig & motiviert an dem Thema der Transformation unserer Städte von grau zu grün und einer erfolgreichen Anpassung an den Klimawandel. Klimaresiliente Stadtplanung & Architektur hat dabei einen wesentlichen Hebel und bringt viele Vorteile für alle Beteiligten auf vielen unterschiedlichen Maßstabsebenen. Sei es für die Umwelt mit seiner Flora und Fauna sowie natürlich vor Allem auch für die Menschen – dem Immobilienentwickler & -betreiber, den Anrainer*innen und Nutzer*innen als auch der Stadt bzw. Gemeinde. Jeder investiert in mehr Lebensqualität und in Ökosystemdienstleistungen – und dabei sollte jede Investition für die Zukunft bestmöglich und wirkungsvoll eingesetzt sein – mit gleichzeitiger Nutzung der individuellen Vorteile. Kollektive Gewissenhaftigkeit für soziale und ökologische Faktoren sollten fixer Bestandteil unsere Gesellschaft sein und deckt sich auch stark mit den in vielen Branchen und Unternehmen immer wichtiger werdenden ESG Kriterien. Unternehmen tragen hier in unserem Verständnis auch die Verantwortung, nicht nur ökonomisch, sondern auch im Sinne des Gemeinwohls nachhaltig zu handeln.

ARM2050: Der Ansatz von Greenpass “Grün in der Stadt” bereits bei der Gebäudeplanung zu berücksichtigen stellt einen sehr nachhaltigen und zukunftsträchtigen Ansatz dar. Welche Herausforderungen ergeben sich im Zusammenspiel von Nachhaltigkeit und Gebäudeplanung?

FK: Der Ansatz ist unserer Meinung nach für eine zukunftsfähige Stadt essentiell und unerlässlich! Dies hat mittlerweile auch die Finanzwirtschaft erkannt und fordert seit Jahresbeginn mit der EU Taxonomy neben dem Umweltziel Klimaschutz auch das Umweltziel Klimawandelanpassung verpflichtend in Form von Risikoanalysen für Immobilien ein. Hier bieten wir mit dem EU Taxonomy Check auch eine neue & einzigartige Lösung für die Bewertung von einzelnen Immobilien oder ganzen Portfolios an. Die Bewertung und der Nachweis für nachhaltige Gebäude und Freiräume wird in den nächsten Jahren voraussichtlich stark zunehmen und als standardisierter Bestandteil von Immobilien in der Branche und unserer Gesellschaft gelten. Auch die Finanzierungsformen werden schon heute und wohl noch viel stärker in der Zukunft an die Auswirkung und Wirkungsleistung hinsichtlich Nachhaltigkeit & Klimawandel gekoppelt sein. Eine Immobilie wird mit den zukünftigen Bedingungen ohne entsprechende Zertifikate für Innen- und Außenraum in der Zukunft viel teurer wenn nicht sogar „wertlos“ sein, wenn diese nicht klimaresilient bzw. klimafit optimiert ist. Der Klimawandel ist nun mal eine der größten Bedrohungen für die Menschheit und die Baubranche hat hier als einer der größten Treiber auch einen starken Anteil bzw. ist ja vor Allem auch direkt von den Auswirkungen sowie Folgewirkungen betroffen.

Die Software von GREENPASS © GREENPASS

ARM2050: Die Baubranche ist mitunter für das Verursachen der meisten CO2-Emissionen verantwortlich. Ist es langfristig überhaupt möglich Gebäude emissionsarm oder CO2-neutral zu bauen?

FK: Technisch gibt es in dem Bereich sehr viele Möglichkeiten, um den CO2 Ausstoß in der Baubranche in allen Phasen & Prozessen zu optimieren & reduzieren, wie z.B. die Verwendung von nachhaltigen und nachwachsenden Materialien, unterschiedlichste nachhaltige & erneuerbare Energiekonzepte, Urban Mining uvm. Für viele Bereiche gibt es hier fertige und marktreife Lösungen, die meist nur frühzeitig genug berücksichtigt, übergeordnet und langfristig gedacht und vor Allem einfach nur angewendet gehören. Die große Herausforderung ist dabei, all die Thematiken mit ihren Anforderungen und Maßnahmen entsprechend in den aktuellen Prozessen mit allen Beteiligten zu berücksichtigen bzw. zu koordinieren und wirkungsvoll und effizient einzusetzen. Auch die Qualitätskontrolle spielt in diesem Kontext eine wesentliche Rolle, da Planung und Umsetzung auch zwei Paare Schuhe sind. Neben neuen hoch-technologisierten Entwicklungen werden manche Lösungen mit der Gesellschaftsdynamik bestimmt auch noch weiter massentauglicher werden. Wichtig ist vor allem ein bewusster Umgang mit den natürlichen Ressourcen sowie ein effektives und wirkungsvolles Zusammenspiel von Gebäude, Freiraum, Mensch und Vegetation in unserer Stadt. Ganz wichtig ist in dem Zusammenhang vA auch das Thema Mobilitätsverhalten und die damit verbundenen Flächen in der Stadt. Prinzipiell gilt aus Sicht des Ressourcenverbrauchs, alles was gebaut ist – sollte revitalisiert und (um)genutzt werden – bevor etwas neu gebaut und natürlicher Boden versiegelt wird. Brownfield Developments in der Stadt bieten hier natürlich auch noch spannende Möglichkeiten für effektive urbane Nachverdichtung, wie z.B bei der Biotope City Wienerberg – dem weltweit 1. Offiziellen klimafitten & GREENPASS Platinum zertifizierten Stadtquartier. Die Thematiken sollten in Zukunft bei allen Entwicklungen in der Stadt verstärkt forciert und verpflichtend berücksichtigt werden – im Bestand und vor Allem beim Neubau! Leben viele Immobilien doch länger als Generationen.

ARM2050: Welche Vision besitzt Greenpass hinsichtlich lebenswerter Städte und speziell für Österreich?

FK: Unsere Städte sollen grüner und lebenswerter werden und auch in der Zukunft den Menschen ausreichend Bereiche zur Verfügung stellen, wo man sich wohlfühlt und auch aufhalten kann. Das Klima endet dabei nicht an Österreichs Grenzen, sondern betrifft auch andere Städte in vielen Ländern auf der ganzen Welt. Greenpass wurde immer entwickelt, um diese Problematik weltweit zu behandeln und gemeinsam im starken Netzwerk an einer Verbesserung und Transformation zu arbeiten. Gemeinsam mit unseren mehr als 40 ausgebildeten UCA Partnern konnten wir bereits mehr als 160 Projekten in 12 europäischen Ländern klimafit mitgestalten bzw. gibt es hier in Österreich, als auch im Rest von Europa noch jede Menge zu tun. Wir freuen uns Ende des letzten Jahres erfolgreich ein Late Seed Millioneninvestment abgeschlossen und mit Peak Pride und dem Familiyoffice von Hans Peter Haselsteiner, Pi Labs Venture Capital aus UK und AWS gründerfonds, strategisch starke internationale Partner für die nächste Phase und weitere Skalierung gewonnen zu haben. Unser Team wird dieses Jahr stark wachsen bzw. suchen wir aktuell auch motivierte & talentierte Gleichgesinnte in den Bereichen IT, Software, Sales, Marketing und Operations. Gemeinsam sollen unsere Services weiter skaliert werden und der 1-stop-shop für die Bewertung von Umweltauswirkungen neben vielen weiteren Entwicklungen weiter vorangetrieben werden und dabei natürlich viele weitere klimafitte Projekte folgen!

Die Software von GREENPASS © GREENPASS

ARM2050: Welche Innovationen und Entwicklungen sind in den kommenden Jahren in der Immobilienbranche hinsichtlich grüner Architektur und Nachhaltigkeit zu erwarten? Können Sie schon jetzt Entwicklungen und Transformationen am Markt erkennen?

FK: Wir freuen uns über die breite gesellschaftliche Diskussion und dynamische Entwicklung. Diese ist recht eindeutig und zeigt ganz klar in Richtung mehr Nachhaltigkeit und Grün. Das die Themen in der breiten Öffentlichkeit und Gesellschaft angekommen sind unterstreichen eben auch die lokalen, nationalen und europaweiten Handlungen der Finanzwirtschaft, Politik & der Stadtverwaltungen. Diese sind auch essenziell notwendig, um die Transformation einzuleiten und gemeinsam bewältigen zu können. Gleichzeitig wird auch die Relevanz von Qualitätssicherungsinstrumenten unterstrichen, um die Missnutzung und Greenwashing vorzubeugen und zu verhindern. In der Architektur wird Grün auch immer mehr als neues Glas gesehen. Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten für die Integration und Kombination von Nachhaltigkeit & Grün mit der Architektur. Die Lösungen sind also vorhanden und ready für den Markt, sie müssen nur noch angewendet und gezielt wirkungsvoll eingesetzt werden. Softwarebasierte Planungs- & Bewertungstools bringen eine Vielzahl an Vorteilen für alle Beteiligten und erlauben es Immobilien & Freiräume klimafit & zukunftsfähig zu gestalten und lebenswerte Städte zu ermöglichen – so let’s do it together!

ARM2050: Herzlichen Dank für das spannende Interview!

(10. Februar 2022, Sandra Beck)

Links:

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