Anlässlich des seit einem Vierteljahrhundert am 26. April begangenen „Internationalen Tag der Erneuerbaren“ haben Interessenverbände mehr Tempo beim Ausbau nicht fossiler Energien verlangt.

Der Aufruf zur Bewältigung der Klimakrise durch sichere Energieversorgung ist nach wie vor ein hochaktuelles Thema und sollte anlässlich des immer noch anhaltenden brutalen Krieges in der Ukraine nicht von der Prioritätenliste nach unten rutschen. In Brüssel wird derzeit intensiv über die Frage beraten, wie sich Europa aus der Abhängigkeit von Russlands Energie befreien kann. Ein Blick auf das 70 Kilometer entfernte Städtchen Eeklo könnte Antworten liefern – gilt es doch als Pionier, was die Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien betrifft.

Der Ausbau der Erneuerbaren sei neben einem effizienten und sparsamen Energieeinsatz das zentrale Element zur Bekämpfung der Klimakrise, hieß es vom Dachverband Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ). Die Erneuerbaren seien ein Garant für regionale und autarke Versorgungssicherheit. Schritte zur Umsetzung müssten auch die Bundesländer vornehmen. Der „Tag der Erneuerbaren“ erinnert an das verheerende Reaktorunglück von Tschernobyl im April 1986.

Stark steigende Energiepreise würden die Schattenseiten der Abhängigkeit von internationalen Energiemärkten vor Augen führen, so die E-Wirtschaft. Es müsse nun endlich der Turbo für eine unabhängige Versorgung mit erneuerbaren Energien gezündet werden, forderte die IG Windkraft. Österreich würde eine enorme Ausbaugeschwindigkeit brauchen, um bis 2030 das Ziel einer vollständigen Stromversorgung aus erneuerbaren Quellen zu erreichen – nämlich alle zwei Minuten eine PV-Anlage, alle drei Tage ein Windrad und alle zwei Monate ein mittelgroßes Wasserkraftwerk, erklärte Oesterreichs Energie in einer Aussendung. Das Regierungsprogramm sehe die Errichtung zwar vor, bisher komme die Umsetzung dieses Mammutprojekts jedoch nur schleppend voran.

In Brüssel wird derzeit intensiv über die Frage beraten, wie sich Europa aus der Abhängigkeit von Russlands Energie befreien kann. Ein Blick auf das 70 Kilometer entfernte Städtchen Eeklo könnte Antworten liefern – gilt es doch als Pionier, was die Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien betrifft. 130 Prozent des benötigten Stroms werden hier mittlerweile lokal produziert. Wie das ohne großes Budget gelang, welche Rolle die Bürger und Bürgerinnen dabei spielen und warum das Modell überall anwendbar ist, erklären die Verantwortlichen und liefern eine Vorbildfunktion für Europa.

„Es ist uns gelungen, ein einzigartiges Energiemodell zu entwickeln“, sagt Bob D’Haeseleer. Der ehemalige grüne Vizebürgermeister zählt zu den treibenden Kräften hinter der Energiewende Eeklos. Viel spricht er im Laufe des Tages über „Energiedemokratien“, darüber, dass Energie wieder zu einem lokalen Produkt werden müsse. So wie das in den Zehntausenden Jahren vor der industriellen Revolution der Fall gewesen sei.

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Energie im eigenen Land zu produzieren – das ist es auch, was in Eeklo bereits vor mehr als 20 Jahren geschah, als hier die ersten Windräder aufgestellt wurden. Das Besondere daran: Sie alle befinden sich in den Händen von Bürgerinnen und Bürgern. Möglich gemacht wird das durch eine Kooperative namens Ecopower, ein Zusammenschluss von Leuten, die ihre eigene Energie produzieren und so von großen Energiekonzernen unabhängig werden wollten.

Jan De Pauw, Projektingenieur und für die Durchführung der Energiewende in Eeklo beauftragt, erzählt stolz von ebenjenen Anfängen: „Bei einer Informationsveranstaltung haben sie (Ecopower, Anm.) zu uns gesagt: ‚Das ist nicht unsere Windturbine. Das wird eure sein.‘ Jeder konnte sich der Kooperative anschließen und die Elektrizität für sein Zuhause nutzen. Das war eine großartige Idee. Daher bin ich beigetreten. Meine Mitgliedsnummer ist 300. Mit mehr als 60.000 Mitgliedern ist Ecopower heute eine der größten Genossenschaften in Europa.“

Bis zu 40 Prozent niedrigere Strompreise

Anders als bei kommerziellen Windkraftprojekten geht der Profit der Windkraftanlagen nicht an große Energieanbieter, sondern direkt an die Bürgerinnen und Bürger, die in die Windanlage investierten. Pro Anlage seien das rund 250.000 Euro im Jahr. Über deren Verwendung können die Miteigentümer selbst bestimmen. Doch was geschieht mit dem Geld? „Zunächst einmal senken die Eigentümer ihre Energierechnung, die angesichts der Preise auf dem Markt derzeit sehr hoch ist. Alle Mitglieder der Genossenschaft haben eine Energierechnung, die 30 bis 40 Prozent niedriger ist als die des kommerziellen Marktes“, erklärt De Pauw. Zudem gebe es eine kleine Dividende für alle Beteiligten.

Sozialer Mehrwert durch lokale Projekte

Im Durchschnitt seien rund 3.000 Haushalte an einer Windturbine beteiligt. Neben der direkten Partizipation der Bürgerinnen und Bürger ginge es vor allem aber um den sozialen Mehrwert für die Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde. So würden mit dem Gewinn auch lokale Projekte in der Kleinstadt finanziert – „mit großer Wirkung auf die Gemeinschaft“, wie De Pauw betont. Auch für D’Haeseleer bilden diese Projekte die Basis dafür, dass die Energiewende in Eeklo starken Rückenwind aus der Bevölkerung erhalte.

„Keine einzige“ Klage, „keine einzige“ Beschwerde

All diese Schritte hätten dazu geführt, dass es im Genehmigungsverfahren „keine einzige“ Beschwerde und „keine einzige“ Klage aus der Bevölkerung gegeben habe. Und das trotz der Tatsache, dass die Windräder nur fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt errichtet wurden, erzählt D’Haeseleer. Mittlerweile gibt es in der Kleinstadt 20 Windanlagen, ein Teil davon immer noch in der Hand von Kooperativen. Und bis heute: Kein einziger Einwand aus der Bevölkerung.

Solaranlagen auf allen öffentlichen Gebäuden

Die starke Verbindung der Zivilbevölkerung habe in Eeklo zudem zu einem weiteren, für die Verantwortlichen überraschenden Effekt geführt: Drei Jahre, nachdem die ersten Windräder aufgestellt wurden, habe sich der Energiekonsum der involvierten Personen halbiert. „Sie sind sich stärker bewusst geworden, woher die Energie kommt, und haben daher ihre Häuser besser isoliert sowie Solarpaneele auf ihren Dächern angebracht“, erklärt D’Haeseleer.

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Ein Beispiel, dem laut De Pauw auch die Stadt selbst folgt: „Eeklo hat einen Vertrag aufgesetzt, der vorsieht, dass auf allen öffentlichen Gebäuden Solaranlagen angebracht werden.“ Die Rahmenbedingungen seien die gleichen wie schon bei den Windenergieprojekten.

Wieder gehe es darum, die Bürger und Bürgerinnen aktiv miteinzubeziehen. Diese könnten entweder in die Solarpaneele investieren oder ihre Dächer zur Verfügung stellen. Da Eeklo mit einer hohen Armutsquote zu kämpfen hat, sei es der Stadt ein besonderes Anliegen, durch verschiedene Optionen auch Haushalten mit niedrigem Einkommen die Möglichkeit zu bieten, an der Energiewende teilzuhaben.

Fluktuationen als Problem

Natürlich sei Eeklo aber noch am nationalen Energienetz angeschlossen. „Alles andere wäre dumm. Weil einmal weht der Wind nicht in Eeklo, aber die Sonne scheint in Brüssel“, so D’Haeseleer.

Genau hier lässt sich auch das Argument vieler Kritiker und Kritikerinnen von erneuerbaren Energien finden. Man könne nicht nur auf Wind, Sonne und Wasserkraft setzen, da die Fluktuationen so hoch seien und es dadurch zu Netzengpässen komme, so der Tenor.

Im Prinzip sei das richtig, meint Tagliapietra: „Wenn wir mehr und mehr erneuerbare Energien haben wollen, müssen wir mit immer stärkeren Schwankungen in den Systemen fertig werden. Und das können wir nur tun, wenn wir Speicherlösungen entwickeln.“ Der Experte nennt hierbei etwa die Speicherung mit Hilfe von Wasserstoff oder Batterien.

Wie aus den Fängen Russlands entkommen?

Derzeit kämpft Eeklo aber noch mit anderen Problemen. Während sich die kommerziellen Betreiber der Windkraftanlagen nicht an die Bedingungen der Gemeinde hielten, sei man auch immer noch von Gas abhängig. Zumindest Letzteres soll sich aber bald ändern. Bereits jetzt würden einige Wohnblöcke mit der Abwärme des öffentlichen Schwimmbads sowie einer Großbäckerei geheizt werden.

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In Zukunft soll die Müllverbrennungsanlage im Norden der Stadt jene Energie liefern, die benötigt wird, um alle Haushalte in Eeklo heizen zu können. Aufgrund der historisch niedrigen Gaspreise sei ein solches Projekt bisher nicht rentabel gewesen, „aber jetzt hat sich die Welt verändert“, sagt De Pauw im Hinblick auf den Ukraine-Krieg und die hohen Energiepreise. Andere Gemeinden, vor allem im Osten von Flandern, würden sich bereits für das Energiemodell Eeklos interessieren. Warum dennoch so wenige dem Vorzeigestädtchen folgen? „Ich glaube, sie haben Angst, den gleichen Weg zu gehen, weil es eine Menge Arbeit ist. Es ist einfacher, die Energieversorgung dem kommerziellen Markt zu überlassen, als eine Vision in die Tat umzusetzen“, meint De Pauw.

Dabei sei ein Ausbau erneuerbarer Energien im Land dringend notwendig. De Pauws Berechnungen zufolge würde es neben Windkraftanlagen in der Nordsee rund 1.000 Anlagen im Land selbst brauchen, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Auch der Klimaplan, den Eeklo mit seinen Energieprojekten verfolgt, ist ambitioniert. Bis 2030 wolle man so 65 Prozent CO2 einsparen. Dennoch gehe es um mehr als das, meint De Pauw: Es gehe um Autonomie und Demokratie.

„Jede Gemeinde hat ihre eigenen erneuerbaren Energiequellen. Jede Gemeinde hat genug Sonne, Wind, Biomasse, Wasser, um unabhängig zu werden. Und wenn das auf demokratische Weise passiert, wie wir es mit den Genossenschaften tun, ist das ein doppelter Gewinn, weil alles in den Händen der Bürgerinnen und Bürger bleibt.“ Eeklo zeige, dass es möglich ist. Auch D’Haeseleer meint: „Die Geschichte meiner kleinen Stadt sollte nicht einmalig sein.“

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