Im Rahmen des vom AIT geleiteten europäischen Forschungsprojekts SOLIFLY werden multifunktionale strukturelle Bauteile für Flugzeuge entwickelt, die auch als Speicher von elektrischer Energie dienen. Hierzu spricht die Roadmap 2050 mit dem Projektleiter Dr. Helmut Kühnelt

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Die Roadmap durfte mit Dr. Helmut Kühnelt vom AIT (Austrian Institute of Technology) über klimafreundliche Luftfahrt sprechen. Er stellte uns das Projekt SOLIFLY vor, dessen Ziel es ist, eine nachhaltige Elektrifizierung der Luftfahrt zu unterstützen.

ROADMAP 2050: Die Luftfahrt ist der am momentan stärksten wachsende Verkehrssektor und der Trend wird sich laut Experten auch weiterhin fortsetzen. Wie kann denn ihrer Meinung nach CO2-freie Luftfahrt funktionieren?

HELMUT KÜHNELT: Die Luftfahrt war vor der COVID19-Zeit mit vier bis fünf Prozent, der am stärksten wachsende Verkehrssektor. Auch langfristig ist weiterhin Wachstum prognostiziert, in etwas abgeschwächter Form.

Der Luftverkehr ist sehr energieintensiv und trägt auch etwa drei Prozent zu den CO2-Emissionen bei. Der Straßenverkehr im Vergleich macht das Sechsfache – 18 Prozent – aus. Den größten Teil bildet die Strom- und Wärmeerzeugung mit circa 42 Prozent (das 14-fache der Luftfahrt).

Dr. Helmut Kühnelt

Als globale Industrie hat sich die Luftfahrt bereits 2009 zu einer deutlichen Reduktion des CO2-Ausstoßes selbstverpflichtet. Über die letzten 20 Jahre ist der Energieeinsatz pro luftbeförderte Tonne in Kilometer um mehr als 40 Prozent gesunken, mit dem Ziel 2050 die Netto CO2-Emissionen auf die Hälfte des Wertes von 2005 zu bringen. In Europa haben wir uns mit dem Green Deal das Ziel gesetzt, bis 2050 die Emissionen des gesamten Transportsektors verglichen mit den 1990er Jahren um 90 Prozent zu senken. Hierzu muss auch der Luftverkehr seinen Beitrag leisten. Um die Luftfahrt klimaverträglicher zu machen, muss das gesamte System transformiert werden. Das umfasst die Luftfahrzeuge über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg, inklusive der Antriebe, das Betriebs- und Flugmanagement, sowie eine bessere Einbettung der Luftfahrt in ein klimafreundliches Mobilitätsgesamtsystem. Um Flugzeuge klimafreundlicher zu machen, müssen neue Antriebe eingesetzt werden, die mit erneuerbaren Energieträgern funktionieren. Es müssen Energiespeicher und Umwandlungstechnologien, wie zum Beispiel Brennstoffzellen oder auch Batterien weiterentwickelt werden. Die Technologien müssen dann in eine neue Generation hocheffizienter Flugzeuge integriert werden. Die aktuelle Flugzeuggeneration ist – wenn sie auch mehrmals bereits aktualisiert wurde – über 30 Jahre alt.

RM: Welche Maßnahmen und Strategien sind notwendig, um die Entwicklung und Forschung im Bereich der Luftfahrt schneller voranzutreiben?

HK: Ich denke, dass Europa im Bereich der klimafreundlichen Luftfahrt eine Vorreiterrolle besitzt, gerade was die längerfristige Technologie und Entwicklung betrifft. Heuer starten das europäische Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe und das Luftfahrtprogramm Clean Aviation. Beide sollen die Ziele des europäischen Green Deals umsetzen, nämlich die Dekarbonisierung des Transportsektors. Das Clean Aviation Programm, das bis 2030 laufen wird, ist eine öffentlich-industrielle Partnerschaft. Sie ist ausgerichtet auf die Entwicklung von hocheffizienten Antrieben, wie eben auch hybrid-elektrische Antriebe und nachhaltigen Regional-, Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen. Diese Flugzeugklassen wurden deswegen gewählt, weil sie alle aufgrund ihrer Stückzahl die größte Auswirkung auf die Dekarbonisierung haben. Insofern wird hier in Europa sehr viel getan, um die Forschung und Entwicklung in der Luftfahrt mit dem nötigen Maße voranzutreiben.

RM: Die Luftfahrt wird von der breiten Gesellschaft oft mehr für die CO2-Emissionen verantwortlich gesehen als die Automobilindustrie. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

KÜHNELT: Die Luftfahrt ist sicher aufgrund ihres hohen Energieeinsatzes und ihres Wachstums in Diskussion geraten, aber wie bereits erwähnt trägt der Straßenverkehr zu Dreiviertel an den CO2-Emissionen des Transportsektors bei. Die Elektrifizierung dieser verschiedenen Fahrzeugtypen, ob Straße oder Luft, ist an die spezifischen Batterie- bzw. Energieanforderungen geknüpft sowie an die Verfügbarkeit der entsprechenden Batterietechnologien. Die Energiedichte aktueller Batterietechnologien ist zwar ausreichend für Straßenfahrzeuge, aber nicht für die Luftfahrt. Dort wären deutlich energiedichtere Technologien nötig, um eben hybride oder voll elektrische Luftfahrtantriebe zu realisieren.

RM: Die ersten Autos mit Festkörperbatterien sollen 2025 auf dem Markt kommen, wobei diese Art von Batterien in der Luftfahrt noch eher am Anfang ihrer Entwicklung stehen. Worin liegen die Unterschiede in den zwei Bereichen? Vor welchen Herausforderungen steht hier die Luftfahrtindustrie?

KÜHNELT: Die aktuell verfügbaren Batterietechnologien ermöglichen es noch nicht für Antriebe von größeren Flugzeugen eingesetzt zu werden. Hybrid-elektrische Antriebe werden zurzeit vor allem für Kurzstreckenflugzeuge entwickelt. Wir benötigen Batterien mit hoher Energiedichte, wofür Festkörperbatterien durchaus das Potenzial hätten. Luftfahrtbatterien müssen aber daneben, zusätzlich zu geringem Gewicht eine hohe Lebensdauer aufweisen und bei deutlich extremeren Umgebungsbedingungen arbeiten als Automotivbatterien. Aktuell verläuft die Entwicklung von neuen Luftfahrtsystemen und den notwendigen Batterietechnologien parallel und ist noch nicht gekoppelt.

Ich sehe die Herausforderung der nächsten zehn Jahre darin, auf der einen Seite Festkörperbatterien gezielt für Anwendungen in der Luftfahrt zu entwickeln und auf der anderen luftfahrttaugliche Batteriesysteme für diese zukünftigen Technologien zu schaffen. Dann müsste man zeitgerecht beide Stränge zusammenzubringen, um wie geplant bis 2035 neue hybrid-elektrische Flugzeuge an den Markt zu bringen.

RM: Halten Sie dieses Ziel des Clean Aviation Fahrplanes der EU für realistisch?

KÜHNELT: Es ist sicher ein ambitioniertes Ziel, aber es wird an den Konzepten und Architekturen für zukünftige elektrische Flugzeuge bereits gearbeitet, unter anderem auch in den europäischen Projekten Imhotep und Orchestra, in denen das AIT auch am Batteriesystem arbeitet.

Ich denke, es wird davon abhängen, dass zeitgerecht die Batteriezellenentwicklung parallel zur Flugzeugentwicklung abgeschlossen wird und die nötigen Technologien für luftfahrttaugliche Systeme zur Verfügung stehen werden. Wenn das gelingt, ist es ein durchaus realistisches Ziel.

RM: Wie ist SOLIFLY entstanden? Wie ist der aktuelle Forschungsstand?

KÜHNELT: SOLIFLY entwickelt strukturelle Batterien, also Energiespeicher, die in tragende Systeme integriert werden. Die Idee ist nicht neu, sie ermöglicht höhere Systemeffizienz. Sie wurde jedoch bisher eher im akademischen Umfeld verfolgt.

Entstanden ist das Projekt aus einer Ausschreibung des Clean Sky 2 – Programms, dass dieses Thema im letzten seiner Calls ausgeschrieben hat. Unser Konsortium besteht aus uns, dem AIT als Koordinator, Onera und Cira, den französischen und italienischen Luftfahrtforschungszentren, den Universitäten Wien und Neapel, sowie dem mittelständigen Unternehmen COSTUMCELLS. Wir starteten das Projekt im Jänner und befinden uns in der ersten Phase dieses dreijährigen Projektes.

Konkret wollen wir untersuchen wie strukturelle Batterien in ein Luftfahrtbauteil aus Kohlefaserverbundstruktur integriert werden können. Wir entwickeln dazu auf Basis einer Semi-Solid-State Batterie-Formulierung zwei Zellkonzepte, die unterschiedlichen Integrationsgrad aufweisen. Zum einen eine Batteriezelle aus überzogenen Kohlefasern und zum anderen eine flache integrierbare Zelle. Diese beiden Konzepte wollen wir mechanisch und elektrochemisch charakterisieren und dann in einem Standardluftfahrtbauteil, nämlich einem versteiften Panel demonstrieren.

Wir betrachten weiters auch Aspekte der Lufttüchtigkeit dieser Technologien und was für die Industrialisierung notwendig wäre. Unser Ziel ist es auch die Anforderungen unserer Industriepartner, wie zum beispiel FACC, an diese Technologien in Erfahrung zu bringen und diese in das Projekt mit einzubeziehen.

In SOLIFLY machen wir die ersten Schritte in Richtung einer luftfahrttauglichen strukturellen Batterie, aber bis zum tatsächlichen Einsatz wird noch viel Entwicklungsarbeit nötig sein.

RM: Welche Bereiche der Infrastruktur können in Zukunft grundlegende Veränderungen erwarten?

KÜHNELT: Die Dekarbonisierung bedeutet nicht nur in der Luftfahrt einen massiven Bedarf an Elektrizität aus erneuerbaren Quellen. Ich sehe in der Erzeugung, dem Transport und der Speicherung von erneuerbaren Energien die größten Herausforderungen auf der Verbraucherseite.

RM: Ist die Luftfahrt bis 2050 emissionsfrei?

KÜHNELT: Ich denke, dass sich das gesamte System der Mobilität nachhaltig umstellen wird müssen, auch die Luftfahrt. Auch unser Verständnis und Zugang zu dieser wird sich ändern müssen. Wir haben jetzt mit dem europäischen Green Deal einen politischen Rahmen zur Dekarbonisierung des Transportsektors, der muss konsequent umgesetzt werden. Wir brauchen dies allerdings auch auf globaler Ebene in eigentlich allen Lebensbereichen.

Das ganze Interview gibt es oben als Video anzusehen.

Hiermit bedanken wir uns bei Dr. Kühnelt für den Höhenflug!

(bes)

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