Mit Mira Dolleschka und Johannes Stangl von Fridays For Future haben wir über den Klimawandel, ihre Forderungen an die Politik und das Mobilitätssystem in Österreich gesprochen. Warum ist die junge Generation heute dermaßen politisiert und engagiert? Die Antworten gibt’s im exklusiven Interview mit der Austrian Roadmap 2050.

Der Golfstrom nimmt ab, im Polarkreis herrschen Temperaturen von 38 Grad und unsere Wälder verbrennen. Lohnt es sich noch für Fridays For Future auf die Straße zu gehen, oder haben wir den Kampf gegen den Klimawandel bereits verloren?

Es wird sich immer lohnen! Jedes Zehntel Grad weniger macht einen Unterschied! Ja, die Herausforderungen sind sehr groß, aber unser Handeln heute wird die Lebensbedingungen auf der Erde für tausende Jahre beeinflussen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir jetzt handeln und Veränderungen umsetzen. Dafür braucht es vor allem politischen Druck, welchen wir jeden Freitag auf der Straße ausüben.

Denn uns geht es nicht um die Frage, ob wir eine Lösung finden – davon sind wir überzeugt. Die Frage ist viel mehr, wie sie aussehen kann und wie schnell wir sie finden. Es gibt in vielen Bereichen Möglichkeiten und Vorschläge  – diese müssten nur endlich umgesetzt werden. Es scheitert nicht an den Alternativen, sondern am fehlenden politischen Mut und den immer noch lauten und leider sehr mächtigen Lobbyisten. Leider werden fossile Brennstoffe noch zu oft und zu stark in die Zukunftsstrategie unserer Wirklichkeit eingebettet. Hier brauchen wir dringend ein Umdenken.

In Wien gibt es immer häufiger Vorstöße, Teile der Stadt autofrei zu machen. Aber sind autofreie Städte nicht dennoch eine Utopie? Ein Supermarkt kann schließlich nicht mit einem Fahrrad beliefert werden.

Autofreie Großstädte mögen vielen Menschen heute noch als Utopie erscheinen. Doch auch das liegt am mangelnden politischen Willen und Mut. Wir müssen anfangen, Mobilität anders zu denken und Innovationen zuzulassen. Viele Wege, für die ein Paketdienst LKWs nutzt, könnten ohne Weiteres von Lastenrädern bedient werden. Auch im Güterverkehr genießt die Straße noch immer zu viele privilegien gegenüber der Schiene. Wenn wir nach Wien schauen, sehen wir, dass das ÖPNV-Netz in vielen Stadtteilen schon gut ausgebaut ist – bis wir die Außenbezirke erreichen. Hier fordern wir Nachbesserungen und Verdichtung der Stationen. Außerdem muss Mobilität in Wien integrativer gedacht werden. Denn aktive und nachhaltige Mobilitätsformen wie das zu Fuß gehen, Radfahren oder öffentliche Mobilität müssen sich ergänzen, nicht konkurrieren. Für sie braucht es mehr Platz, der schnell entstehen kann, wenn man Parkplätze flächendeckend reduziert und Autos nur noch in Ausnahmefällen nutzt. Im Moment gehören noch 60 Prozent des öffentlichen Raums in Wien den Autos, dabei besitzen nur etwa ein Drittel der EinwohnerInnen eines. Beim Autobesitz und der Aufteilung des öffentlichen Raumes tut sich also auch eine Frage der Gerechtigkeit auf, die von der neuen Stadtregierung adressiert werden muss!

Viele Menschen am Land sind auf das Auto angewiesen. Dort gibt es oftmals keine innovativen Mobilitätskonzepte wie Car- oder Bike-Sharing, auch das Ladenetz für E-Mobilität ist schwächer ausgebaut. Wie kann ich mich am Land dennoch klimaschonend fortbewegen, wenn ich meine beiden Kinder zur Schule bringen, meine Einkäufe für die Familie erledigen und Pakete in der Post abholen muss?

Auch hier muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, damit klimagerechte Mobilität zum Standard wird – etwa durch die Schaffung neuer Mobilitätsangebote. Dennoch kann man auch als Individuum darauf achten, das Auto so oft es geht stehen zu lassen. Einkäufe und andere Besorgungen kann man mit dem Lastenrad tätigen, das fördert noch dazu die Gesundheit. Man könnte sich mit den NachbarInnen zusammen reden. Auch Kinder können mit dem Rad oder mit Schulbussen fahren, dadurch werden sie nebenbei auch noch selbstständiger. Gibt es keinen Schulbus, muss man darauf aufmerksam machen und sich am besten mit anderen Familien zusammentun, um auch hier Druck zu machen. Unserer Meinung nach gibt es auch am Land Möglichkeiten, den eigenen ökologischen Fußabdruck im Bereich Mobilität zu reduzieren. Und wie gesagt – wenn sich genug Menschen beschweren, dass nachhaltige Mobilität in ihrer Umgebung sehr schwer ist, muss die Politik vor Ort reagieren. Fridays for Future ist der beste Beweis dafür, dass man etwas verändern kann, wenn sich die Zivilgesellschaft zusammentut und bestehende Ungerechtigkeiten zum Thema macht.

Wie bewegt man mehr Menschen dazu, sich klimafreundlich fortzubewegen? Ist das eine Frage, die jeder Mensch persönlich treffen muss oder sollte die Politik hier stärker Einfluss nehmen?

Bildung und die Entwicklung eines Nachhaltigskeitsbewusstseins spielen sicher eine große Rolle. Jedoch muss sich auch hier die Politik darum kümmern, dass etwas passiert. Man muss mit den Menschen reden und sie darüber aufklären, warum eine Verkehrswende wichtig ist und warum auch sie davon profitieren würden, wenn es zum Beispiel wieder mehr Platz für Parks, FußgängerInnen, Kultur, Spielplätze und Freizeit gibt, anstatt überall nur Straßen und Parkplätze. Dennoch wird man damit nicht alle Menschen erreichen können, weil viele einfach nicht die Zeit oder Ressourcen haben, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Manche wollen sich auch gar nicht erst damit beschäftigen. Deshalb braucht es Maßnahmen von oben, die Politik muss die Weichen stellen und nachhaltige Mobilität für alle zugänglich machen. Der Vorrang muss eindeutig den klimaneutralen Fortbewegungsarten zukommen.

Wo seht Ihr in der Vergangenheit die größten Versäumnisse in der Verkehrspolitik und wie beurteilt Ihr die Rettungspakete in der EU im Hinblick auf einen grünen Wiederaufbau?

Nachdem spätestens seit den 1980er Jahren klar ist, dass wir uns in einer Klimakrise befinden, muss jede Investition oder Maßnahme, die seither in die falsche Richtung lief, als Skandal betrachtet werden. Aber wie entwickelten sich die Emissionen seither? Im Verkehr verzeichnen wir über 70% Zuwachs an CO2 Emissionen gegenüber dem Jahr 1990. Das geht vor allem zurück auf den Neubau von Straßen und die damit verbundene rasante Zunahme des Güterverkehrs sowie die steigenden PKW-Zahlen in Österreich. Im Mai letzten Jahres überschritten wir die 5 Millionen PKW Marke. Gratuliere! Das waren keine Versäumnisse, sondern pure Ignoranz der Politik gegenüber den wissenschaftlichen Fakten und dem Rat zahlloser Expert*innen.

In Bezug auf den angekündigten grünen Wiederaufbau seitens der EU Kommission, ist es unsere Aufgabe, echte Lösungen einzufordern und kosmetische Änderungen zu verhindern. Wir sind definitiv offen für konstruktive Vorschläge, aber wir werden gegen Maßnahmen auf die Straße gehen, die nicht mit dem Pariser Abkommen vereinbar sind. Dazu gehört zum Beispiel der geplante Ausbau der Erdgasinfrastruktur. Man erhofft sich hier von zwar Emissionseinsparungen, letztlich kettet uns das aber nur weiter an das fossile Energiesystem, das unsere Zukunft zerstört.

Was wären im Bereich Mobilität und Infrastruktur aus eurer Sicht die dringendsten Sofortmaßnahmen, um den Klimaschutz in Österreich zu stärken?

Die Stellplatzverordnung gehört abgeschafft. Sie besagt nämlich, dass pro 100m2 Wohnraum ein Stellplatz errichtet werden muss. Ist dies auf dem eigenen Grundstück nicht möglich, muss man 12.000 Euro an die Stadt Wien zahlen, damit diese eine Tiefgarage errichtet. Man zahlt also für einen Parkplatz, egal, ob man ein Auto hat oder nicht, geschweige denn eines braucht. Die Streichung könnte noch vor der Wahl beschlossen werden, bei der Wiener Landtagssitzung am 25.9. zum Beispiel. Diese komplett veraltete Verordnung verhindert nur, dass die Anzahl der Parkplätze und somit auch der Autos in Wien endlich abnimmt.

Außerdem gehört der Autobahnausbau gestoppt. Es ist lächerlich, dass uns im Jahr 2020 keine besseren Lösungen einfallen, als wieder mal neue Straßen zu bauen. Die S1, der Lobautunnel und die Stadtstraße Aspern sind nicht notwendig. Hier muss Wien ein klares Zeichen setzen. Die wahrgenommenen Erreichbarkeitsprobleme und die Aufwertung der äußeren Bezirke in Wien können auch anders bewältigt werden. Zum Beispiel, indem man lokale Strukturen stärkt und den öffentlichen Raum attraktiver gestaltet, durch mehr Radwege, Erdgeschoss-Attraktivierung, Förderung der Nahversorgung, Eröffnung von Gemeinschaftszentren, Schaffung von Begegnungszonen, Parkraumbewirtschaftung, flächendeckende Parkpickerl, etc. Das Bahnnetz gehört ausgebaut und die äußeren Bezirke, wie bereits erwähnt, besser öffentlich angebunden.

Der Vorzug muss ganz klar den klimagerechten Alternativen, wie Rad, Bahn und Bus gelten.

Am 25.9. findet der nächste weltweite Klimastreik statt. Hunderttausende werden weltweit für eine klimagerechte Zukunft auf die Straße gehen. Wenn ihr ein einziges Argument wählen müsstet, um einen Skeptiker für die Straße zu mobilisieren, welches wäre das?

DU gestaltest Politik. In der Schule wird einem beigebracht, dass Politik etwas ist, das andere machen. Darüber lernt man in Geschichte, darüber spricht man in Geografie, aber Politik wird immer als etwas dargestellt, das losgelöst vom eigenen Leben passiert. Dabei kann jede und jeder von uns Politik machen, indem man diese Haltung ablegt und beginnt, sich für die brennenden Themen unserer Zeit zu engagieren, sich zu organisieren, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und unangenehme Fragen zu stellen. Denn eine starke Zivilgesellschaft muss von den Regierenden ernst genommen werden, sonst verlieren sie irgendwann ihre Legitimität. Fridays For Future hat unglaublich viele Menschen politisiert und ihnen eine Stimme gegeben. Dieses Feuer brennt weiter und mit jedem Klimastreik kommen mehr Menschen in die Organisation. Das ist gut so, denn für die Lösung der Klimakrise braucht es jede und jeden einzelnen dort draußen. Geh mit uns am 25.9. auf die Straße und zeig denen dort oben, dass dir nicht egal ist, was mit deiner Zukunft passiert, denn: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär‘ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“

Willkommen in der Zukunft.
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