
Gastbeitrag von ÖBB Rail Cargo Group CEO Clemens Först
Die Ukraine ist mit knapp 20 Millionen Tonnen jährlich der fünfgrößte Getreideexporteur der Welt. Bisher wurde der Großteil davon auf dem Seeweg über das Schwarze Meer außer Land gebracht. Dann kam der Krieg.
Mit dem Beginn der russischen Seeblockade im Februar, drohte das Getreide in den ukrainischen Silos zu verrotten. Die Folgen wären fatal. Letztlich hat das Ausbleiben von Getreideexporten aus der Ukraine auch Auswirkungen auf die Weltmarktpreise – darunter leiden Länder der Dritten Welt besonders. In dieser außerordentlichen Situation sahen wir mit unseren Zügen die Chance, genau das zu tun, was wir am besten können: Mit unserer Bahnlogistik-Expertise Waren effizient und rasch transportieren.
Die Rail Cargo Group hat sich in den Anfangswochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine intensiv darum bemüht, die Getreideexporte der Ukraine auf den Landweg zu verlagern. Dabei wurde so gut wie alles an Wagenmaterial herangezogen, was gerade verfügbar war. Das heißt: Statt in klassischen Getreide-Güterwagen, wurde das Getreide in Containern, offenen Wagen und Schiebewandwagen transportiert, damit möglichst schnell und viel davon aus der Ukraine Richtung Rumänien, Ungarn, Slowakei und Polen gebracht werden kann.
Über vier Hauptrouten transportiert die RCG aktuell bis zu 150.000 Tonnen Getreide aus der Ukraine nach Westeuropa. © Rail Cargo Group
Von März bis Ende November 2022 wurden so bereits über 1 Million Tonnen Getreide nach Westeuropa, allen voran nach Italien, Deutschland, Ungarn aber auch Österreich transportiert. Aktuell sind es bis zu 150.000 Tonnen monatlich, die außer Land gebracht werden. Wir glauben, damit den größten Beitrag geleistet zu haben.
Trotz der bis heute anhaltend großen Transportmengen, war uns von Anfang klar: Die Logistik der RCG ist immer nur der letzte Schritt in einer Reihe von Maßnahmen. Vor allem zu Beginn standen wir vor der Herausforderung, Produzenten in der Ukraine und Abnehmer in Westeuropa überhaupt erst zu finden. Mit GrainLane – einem in der Digitalisierungsoffensive der RCG konzipiertem Handelsplatz – leisten wir auch hier einen Beitrag.
Seit 2012 bekleidet Clemens Först CXO-Funktionen im Bereich der Bahnlogistik in Europa und verfügt über langjährige, globale Erfahrung im Logistikbereich. Auf europäischer Ebene engagiert sich Clemens Först als Chairman der CEO-Taskforce von UIC und CER für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen im Schienengüterverkehr. © Gianmaria Gave
Im Rahmen des hauseigenen ÖBB Innovationsprogramms, dem Open Innovation Lab, hat die RCG binnen kürzester Zeit einen Online-Marktplatz gelauncht, auf dem Getreideproduzenten aus der Ukraine mit Abnehmern aus Europa verbunden werden, ihre Waren verkaufen können und in weiterer Folge Logistikanbieter den Transport übernehmen.
Auf der Plattform können Interessenten nach Getreidearten suchen und zusätzlich Spezifika, etwa den gewünschten Proteingehalt, angeben. Seit dem Start im April 2022 ist GrainLane ein voller Erfolg. Bereits über 1.000 User, vom Großbauern bis zum Händler, bieten ihre Waren auf der Plattform an, anschließend sorgen interessierte Logistikanbieter für den anhaltenden Getreide-Transport aus der Ukraine.
Die Nachfrage nach Getreide-Exporten aus der Ukraine ist bis heute ungebrochen hoch. In Anbetracht der prekären, sich oft binnen Tagen ändernden Lage weiß aber niemand, ob und wie lange der Getreidedeal halten wird.
Wirklich gewiss ist jedenfalls: Mit ihrer Transport-Unterstützung hat die Bahn wiederholt unter Beweis gestellt, wie systemrelevant der Schienengüterverkehr ist und wie Versorgungssicherheit in Krisenzeiten gewährleistet werden kann.
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