Die Zeit drängt, das Vorhaben ist gigantisch: Soll die Energiewende gelingen, müssen wir rasch und zielgerichtet handeln.

Die Energiewende ist unbestritten das zentrale wirtschaftspolitische Thema unserer Zeit. Bei Diskussionen darüber erlebt man jedoch oft große Skepsis, ob die notwendigen Veränderungen überhaupt umsetzbar sind. Es greift eine Resignation in der Gesellschaft um sich, nach dem Motto: „Das schaffen wir sowieso nicht mehr.“ Zugegeben: Das Vorhaben ist gigantisch und kann wahrscheinlich oft nur in mühsamer Detailarbeit realisiert werden. Und die Zeit drängt. Trotzdem ist Optimismus angesagt. Denn es gibt auch eine gute Nachricht: Wir wissen eigentlich, was zu tun ist – die notwendigen Maßnahmen liegen auf dem Tisch. Jetzt gilt es, rasch und konkret zu handeln. Eine Handreichung in acht Punkten.

1. Die Erneuerbaren zügiger ausbauen

Um die Energiewende zu schaffen, hat sowohl die Europäische Union als auch die nationale Politik sehr ehrgeizige Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien formuliert. Doch diese Vorgaben werden viel zu langsam umgesetzt. Will man die gesteckten Ziele bis 2030 erreichen, dann müssten in Österreich jährlich 120 neue Windkraftanlagen installiert werden. 2022 waren es allerdings lediglich 68. Für 2023 sind 53 neue Anlagen geplant.

2. Der Weg hin zu klimaneutralen Gebäuden muss konsequenter verfolgt werden

Der Gebäudebereich umfasst fast ein Drittel des Energiebedarfs in Österreich und ist oft in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Vor allem in dicht verbauten Gebieten gibt es enormen Handlungsbedarf. Was getan werden müsste, liegt vor: Mit dem „klimaaktiv Gebäudestandard“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gibt es einen klaren Leitfaden, wie klimaneutrale Gebäude realisiert werden können. Doch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie beim Ausbau der erneuerbaren Energien: Es fehlt die Dynamik.

Um in beiden Bereichen die notwendige Geschwindigkeit aufzunehmen, bedarf es meiner Meinung nach einer Struktur, die sich konkret und in allen Einzelheiten um die Verwirklichung der formulierten Ziele kümmert: Wo kann man Windräder rasch und möglichst unbürokratisch aufstellen? Welche Möglichkeiten einer neuen Wärmeversorgung haben Hauseigentümer? Besteht die Möglichkeit eines Fernwärmeanschlusses? Was ist nötig, um mit Wärmepumpen heizen zu können? Welche Förderungen der verschiedenen Gebietskörperschaften gibt es? Welche Kosten entstehen bei der Sanierung, und welche langfristigen Finanzierungskonzepte sind dafür notwendig?

All diese Fragen müssten in solch einem one stop shop für die Energiewende beantwortet werden – begleitet von konkreten Unterstützungsleistungen.

Um die Gebäudesanierung zusätzlich zu beschleunigen, könnte eine Sanierungspflicht vorgeschrieben werden. Dabei sollte die Genehmigung von beantragten baulichen Veränderungen an die Pflicht zur thermischen Sanierung gekoppelt werden.

3. Es sind mehr Innovationen und Technologieoffenheit nötig

Auch mit 100 Prozent Energie aus Wasser-, Sonnen- und Windkraft kann Österreich seine Energieversorgung nicht sicherstellen. Es müssen gleichzeitig die Netze ausgebaut werden, die die Energie- sowie die Datenströme selbstständig verarbeiten und die Stromerzeugung sowie den Stromverbrauch automatisiert aufeinander abstimmen. Der Netzausbau erfordert erhebliche finanzielle Mittel. So planen die Netzbetreiber Investitionen von rund 18 Milliarden Euro bis 2030.

Soll die geplante Energiewende geschafft werden, müssen in den kommenden Jahren 200 neue oder verstärkte Umspannwerke errichtet, 12.000 Trafostationen neu aufgestellt und 40.000 Kilometer Leitung verlegt werden. Das wird auf Widerstand in Teilen der Bevölkerung stoßen. Es ist daher auch hier eine unterstützende Struktur nötig, die hilft, Bedenken auszuräumen.

So ein Großunterfangen ist zudem nur mithilfe einer abgestimmten Gesamtsystemplanung (Netz, Speicher, Produktion und Reserven) zu realisieren. Daher müssen die Behörden mit genügend fachlichen Ressourcen ausgestattet werden.

der Ausbau erneuerbarer Energien im Vergleich. © BMK

4. Wir brauchen mehr Speicherkapazitäten

Neueste Innovationen geben Anlass zum Optimismus: Es gibt bereits Pilotprojekte, wo der teure und zunehmend knappe Rohstoff Lithium durch den billigen und einfach verfügbaren Rohstoff Natrium ersetzt wird. Auch Kobalt, ein weiterer kritischer Werkstoff, wird für die sogenannte Natrium-Ionen-Batterie nicht mehr benötigt. Voilà: Ein neues Energiespeichermedium! Ich bin überzeugt, dass weitere folgen werden.

5. Wo bleiben die Fachkräfte?

Für diesen enormen Transformationsprozess fehlt Österreich eine erhebliche Zahl von Arbeitskräften. Beginnend beim Bau- und Installationssektor über Elektrotechnik bis hin zu komplexen IT-Anwendungen in Regel- und Steuerungsprozessen. Es müssen schleunigst großflächige Ausbildungsprogramme gestartet werden.

Das Arbeitsmarktservice, die betroffenen Fachverbände und Industriebranchen sollten in einem ersten Schritt gemeinsam ermitteln, wie viele zusätzliche Arbeitskräfte mit welcher Qualifikation in den nächsten Jahren für eine erfolgreiche Bewältigung der Energiewende nötig sind. Dem müsste ein breit angelegtes Ausbildungsprogramm folgen, das man allen in Österreich Beschäftigten, die sich beruflich verändern wollen, anbietet. In diesem Zusammenhang könnte auch ein neuer Weg der Integration von Asylwerbern stattfinden: Man bietet jungen Menschen, die um Asyl angesucht haben, an, einen der vielen Berufe, die für die Energiewende erforderlich sind, zu ergreifen. Für die ein- beziehungsweise zweijährige Ausbildung (inklusive Deutschkurse) erhalten alle Auszubildenden eine Finanzierung – und bei gelungener Absolvierung verpflichten sich die Unternehmen, einen adäquaten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

6. Nachhaltig wirtschaften!

Eine Kreislaufwirtschaft, in der weniger Primärrohstoffe zum Einsatz kommen und die Wiederverwertbarkeit der Produkte sichergestellt ist, müsste strategisch angestrebt werden. Das erfordert hohe Recyclingquoten. Es sind aber auch Innovationen in der Materialforschung nötig, um abzusichern, dass erzeugte Produkte bei der Entsorgung wieder in Einzelteile zerlegt und die gewonnenen Materialien wiederverwendet werden können.

7. Nachhaltig investieren!

Investitionen nach ökologischen, sozialen und ethischen Standards, kurz ESG genannt, müssen zum unternehmerischen Standardprogramm werden. In den vergangenen Jahren gab es da sowohl bei Kapitalgebern als auch in den Unternehmen selbst ein erhebliches Umdenken. Die Kapitalmärkte fordern heute ESG-Maßnahmen bei den Unternehmen ein, und ab 2025 gibt es für größere Aktiengesellschaften die Verpflichtung, diese auch in ihren Geschäftsberichten zu dokumentieren.

Natürlich, dadurch besteht in den kommenden Jahren auch die Gefahr des Greenwashings. Aber die Bedeutung des Themas und der sich daraus ergebende Handlungsbedarf sind groß. Eine Analyse des Beratungsunternehmens PwC geht davon aus, dass weltweite ESG-Investments bis zum Jahr 2026 um 84 Prozent auf knappe 34 Billionen Dollar steigen und dass damit ESG-Vermögenswerte für rund 21 Prozent aller Investitionen stehen werden.

8. Wir müssen sehr viel Geld in die Hand nehmen

Um diesen Transformationsprozess sozial, ökologisch und demokratisch zu bewältigen, müssen enorme finanzielle Mittel mobilisiert werden. Die Europäische Union geht von einem zusätzlichen Investitionsbedarf von 650 Milliarden Euro pro Jahr bis 2030 aus. Die momentan leider vorherrschende Praxis der „nationalen Gießkanne“ wird hier kaum zum Erfolg führen. Es müssen strategische Zielvorgaben formuliert werden, um eine nachhaltige, zukunftsfähige Industrieproduktion in Europa abzusichern. Und es braucht die Kooperation der Mitgliedsstaaten untereinander. Der Aufbau einer Infrastruktur wie etwa für eine Wasserstoffproduktion oder für transeuropäische Energienetze kann nur gemeinsam in Europa erfolgen.

Quelle: BMK, Die Zeit Österreich 

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