Waldbrände, sintflutartige Regenschauer, Hitzewellen – die Pandemie scheint gerade wieder Pause zu haben, denn die tagesaktuellen Themen dieser Wetterphänomene stehlen Covid-19 die Show. Die Kosten, welche der Klimawandel verursacht sind nichtig, wenn man die Schadensfinanzierung der Wetterkatastrophen begutachtet. Doch dauert es zu lange die erneuerbaren Energien entsprechend auszubauen, um den Bedarf zu decken. Die Vermutung liegt nahe – wir sollten uns endlich über Alternativen unterhalten. 

Die Kernfusion könnte der nächste Schritt für die saubere Energieerzeugung sein. Seit Jahrzehnten wird daran gearbeitet, Kernfusion nutzbar zu machen. Jetzt rückt der Traum von der sauberen und billigen Energie in greifbare Nähe – weil eine neue Technologie schnellen Fortschritt verspricht. Das Start-up Marvel Fusion versucht sich an der Energieerzeugung der Zukunft. Laser sollen saubere und sichere Kernfusion ermöglichen. Jetzt wird die Theorie dahinter getestet.

Das Start-up Marvel Fusion und die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität kooperieren bei der Erforschung eines neuen Ansatzes zur Kernfusion auf Basis von Lasern. Mit einem der stärksten Laser der Welt auf dem Universitätscampus in Garching bei München sollen die Grundlagen überprüft werden, auf denen Marvel neuartige Fusionskraftwerke bauen will. Marvel, das in München ansässig ist, will dafür mehrere Millionen Euro investieren.

Ziel von Marvel ist es, binnen zehn Jahren Fusionskraftwerke zu bauen, bei denen mit Hilfe von extrem kurzen, aber starken Laserpulsen das Element Bor mit Protonen zu drei Heliumteilchen verschmolzen wird. Das hätte einen großen Vorteil gegenüber der klassischen Plasmafusion, an der bereits seit Jahrzehnten geforscht wird: Während die Wasserstoff-Isotope Tritium und Deuterium entweder radioaktiv sind oder aber Neutronenstrahlung entsteht, sind bei der Bor-Protonen-Fusion keine radioaktiven Stoffe im Spiel. Aus der Energie, die dabei frei wird, kann dann Strom gewonnen werden.

Im Gegensatz zur Kernspaltung erzeugt Kernfusion keine großen Mengen lange strahlenden Mülls

Anders als Kernspaltung erzeugt Kernfusion keine großen Mengen lange strahlenden Mülls. Zudem sind katastrophale Kettenreaktionen ausgeschlossen. Der seit Jahrzehnten verfolgte klassische Ansatz zur Kernfusion versucht, Plasma mit Hilfe von Magnetfeldern zusammenzuhalten und sehr stark zu erhitzen. Seit einigen Jahren gibt es allerdings eine Reihe von Unternehmen, die die Fusion mit Hilfe von Lasern erzeugen wollen. Marvel will winzige, sehr speziell geformte Ziele mit mehreren Lasern beschießen. Das soll Teilchen in den Zielen so stark beschleunigen, dass sie zusammenstoßen und fusionieren. Noch ist nicht sicher, ob die Technologie funktionieren wird. Von der Kernfusion erhoffe man sich ein Dauerversprechen zur Lösung der großen Energiefragen.

Versuchsreaktor Iter in der Provence in der Bauphase

Ähnlich zuversichtlich ist man in der Provence, in der ein riesiger Versuchsreaktor aus dem Boden wächst. 2000 Beschäftigte bauen dort eines der größten zivilen Projekte überhaupt, den „Internationalen thermonuklearen Versuchsreaktor“, kurz Iter. Die Ausmaße sind wahrhaft pharaonisch: Das bereits verlegte Erdreich hat das Volumen der Cheops-Pyramide. Im zentralen, 60 Meter hohen Hangar entsteht derzeit der Reaktor, das Herz des Bauwerks. Seine Mission: herauszufinden, ob die Kernfusion im großen Stil machbar ist. Man könnte auch sagen, obwohl es die Atomphysiker in Cadarache nicht so „politisch“ formulieren würden: Iter soll das Klimaproblem mitlösen helfen. Die technische Idee dahinter erklärt Pressesprecherin Sabina Griffith: „der Iter versucht eine Kernfusion zu realisieren, wie sie in der Sonne abläuft – die Verschmelzung der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium. Für diese energiefreisetzende Fusion braucht es im Iter allerdings Temperaturen von bis zu 150 Millionen Grad – das ist heißer als das Innere der Sonne.“

Im Versuchsreaktor Iter soll per Kernfusion Energie entstehen. © DER STANDARD

Kaum Abfall, kein CO2

Das hält keine irdische Materie aus. Also siedeln die Iter-Physiker die Reaktion in einem kreisrunden Vakuumraum von zwanzig Meter Durchmesser an. Dieser „Tokamak“ (russische Abkürzung für „toroidale Kammer in Magnetspulen“) ist umgeben von Magneten, die jede Annäherung der brandheißen Partikel an die Außenwände verhindern und sie in einem labilen Gleichgewicht in der Mitte der Kreisbahn halten. Die freiwerdenden Kräfte können über Dampfturbinen 500 Megawatt produzieren: die Energie eines kleinen Atomkraftwerks. Um die zu produzieren, genügen ein paar Gramm Materie. Und anders als die Kernspaltung in heutigen AKWs produziert die Kernschmelze kaum radioaktiven Abfall – und kein CO2. Das Tüpfelchen auf dem i ist die Betriebssicherheit: „Bei einem Unfall stoppt die Operation von selbst, ohne dass im Plasma eine Kettenreaktion entstünde“, erklärt Griffith. Und was geschieht, wenn die Schweißnähte in der Vakuumkammer nicht millimetergenau sind? Was, wenn ein Flugzeug in den Tokamak stürzt? „Gar nichts“, meint die Physikerin, „die Fusion hört einfach auf, als drehte man das Licht ab.“

Bauarbeiten bis 2024 beendet

Alain Becoulet, Chefingenieur von Iter, räumt ein, dass Covid-Krise, Ukraine-Krieg und auch der Frachterstau im Suezkanal von 2021 den Zeitplan verzögerten, ist aber zuversichtlich, dass die Bauarbeiten 2024 beendet sein werden. Dann wird die Kernschmelze geprobt. Bis 2035 soll das Iter-Experiment schlüssige Resultate zeitigen. Fallen sie positiv aus, könnte die Kernfusion ab 2050 in kommerziellem Umfang dekarbonisierte Energie liefern.

Hohe finanzielle Kosten für die Kernfusion-Projekte notwendig

Schon jetzt interessieren sich immer mehr Privatinvestoren wie Jeff Bezos, Bill Gates oder George Soros für die Kernschmelze. Das ist positiv für die Finanzierung der Projekte, denn die Kosten belaufen sich auf mehrere hundert Millionen Euro oder mehr. Finanziell gesehen ist der Weg für beide Projekte sehr weit: Bisher hat Marvel nach eigenen Angaben rund 60 Millionen Euro an Kapital eingeworben. Sollte es zum Kraftwerksbau kommen, wären die Kosten mit mehreren Milliarden Euro ein Vielfaches. Gelingt die Kernfusion per Laser allerdings, könnte sie große Mengen Energie zu geringen Kosten erzeugen.

Umweltschützer:innen sind skeptisch

Umweltschützer:innen halten gerne dagegen, die Kernfusion sei jene Technologie, deren Durchbruch ständig für die nächsten 30 Jahre versprochen werde – und das schon seit weit mehr als 30 Jahren. Greenpeace spricht von einem Milliardengrab. Das offizielle Gegenargument hört man im Gespräch mit Iter-Mitarbeitern immer wieder: „Können wir es uns leisten, nicht alles versucht zu haben im Kampf gegen den Klimawandel?“

(Dienstag, 19. Juli, Sandra Beck)

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