„Jeder Einzelne kann dazu beitragen, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen – und schützt damit nicht nur sich selbst und seine Familie und Freunde, sondern stabilisiert damit die Infrastruktur in Österreich“ – Leonore Gewessler.

Wir durften das folgende Gespräch mit der Bundesministerin über die Corona-Krise und die gesetzten Maßnahmen führen:

In Krisenzeiten besonders wichtig: Wie sichert denn die Bundesregierung das Funktionieren ihrer eigenen „Infrastruktur“ so gut wie möglich ab? Von der persönlichen Gesundheit und Minimierung des Ansteckungsrisikos bis zur reibungslosen internen Kommunikation? Können Sie uns hier ein paar Beispiele geben?

Wir erleben gerade sehr ernste Zeiten, die uns alle in unserem alltäglichen Leben betreffen. Tag für Tag fordert das Corona-Virus unser Land auf eine besondere Art und Weise. Wir als Bundesregierung haben deshalb umfangreiche Maßnahmen beschlossen, um die Ausbereitung von COVID-19 nachhaltig einzudämmen. Das bedeutet für uns alle große Einschränkungen im Alltag und in der Freizeit. Wir im öffentlichen Dienst wollen dabei ein gutes Vorbild sein, und dafür möchte ich auch allen Kolleginnen und Kollegen danken. Sie zeigen, dass wir diese Krankheit sehr ernst nehmen und ihr mit großer Entschlossenheit entgegentreten. Indem sie etwa ihr soziales Leben auf das unerlässliche Minimum beschränken. Indem sie mit ihren Kindern daheimbleiben und mit ihnen lernen und spielen. Indem sie ihre älteren Verwandten und Freunde schützen und für sie dringende Einkäufe erledigen.

Daneben müssen wir sicherstellen, dass das Ministerium auch in einer schwierigen Situation arbeitsfähig bleibt: Die meisten Kolleginnen und Kollegen können im Homeoffice arbeiten, einige wenige nehmen ihre Aufgabe persönlich im Haus wahr – klarerweise unter Einhaltung des notwendigen Abstands. Statt persönlicher Treffen finden nun Telefon- oder Videokonferenzen statt. Natürlich ist auch mein Ressort im Corona-Krisenstab vertreten, um gemeinsam in der Bundesregierung gegen das Virus anzukämpfen.

In Krisenzeiten ist generell eine funktionierende Infrastruktur wichtiger denn je. Man spricht derzeit auch von systemrelevanter oder kritischer Infrastruktur, die unbedingt aufrechterhalten werden muss. Welche Bereiche zählen aus Ihrer Sicht hier vorrangig dazu, und wie klassifiziert man diese? 

In einer Krise wie dieser ist es sehr wichtig, dass wir die Versorgung der Menschen im Land sicherstellen und daher den Betrieb der sogenannten kritischen Infrastruktur in Österreich aufrechterhalten. Zur kritischen Infrastruktur gehören die gesamte Verkehrsinfrastruktur, die Wasserversorgung, die Energie- und Wärmeversorgung, die Abfallentsorgung und die Stromnetzbetreiber. Und damit spreche ich nur von Versorgern, die in meinem Ressort angesiedelt sind. Darüber hinaus zählen natürlich all jene Bereiche dazu, die die medizinische Versorgung in all ihren Facetten – vom Spital bis zur Pflege – und die Lebensmittelversorgung sicherstellen. Sowie die Netzbetreiber: denn ohne funktionierende Telekom kein Homeoffice.

Welche Maßnahmen werden jetzt getroffen, damit die Versorgungssicherheit aufrechterhalten bleibt – speziell angesichts der europaweiten Grenzschließungen? Wie schafft man es jetzt, z.B. das Funktionieren des Güterverkehrs oder der Energieversorgung sicherzustellen?

Das BMK ist seit Anbeginn in den Krisenstab der Bundesregierung eingebunden. In enger Abstimmung treffen wir alle notwendigen Maßnahmen gegen die Corona-Krise.

Generell setzen Unternehmen der kritischen Infrastruktur zahlreiche Maßnahmen, um den Betrieb zu sichern. Sie arbeiten etwa mit getrennten Teams unter Einhaltung strengster Vorsichtsmaßnahmen, sind auf ihren Kernbetrieb konzentriert. Im Energiebereich ist die Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme sichergestellt.

Die Energiewirtschaft ist grundsätzlich auf Krisen gut vorbereitet: Basierend auf internationalen Abkommen gibt es mehrmals pro Jahr spontane und unangekündigte Krisenübungen. Die Grundversorgung ist außerdem hochgradig automatisiert, was in solchen Fällen hilfreich ist. Öl und Gas müssen auf Vorrat gehalten werden, um die Versorgung aufrechterhalten zu können, das ist gesetzlich geregelt. Das Stromnetz wird immer mit größtmöglicher Sicherheit betrieben, die Kolleginnen und Kollegen arbeiten 365 Tage im Jahr mit der Vorgabe, dass solche Situationen reibungslos gemeistert werden. Aber sie nehmen auch gesellschaftliche Verantwortung wahr. Wir haben uns gemeinsam mit den Energieversorgern darauf geeinigt, dass in der Krise niemandem im Land der Strom oder die Wärmeversorgung abgestellt wird, auch wenn manche derzeit nicht die Rechnung bezahlen können. Auch die Abfallentsorgung und Abwasserreinigung sind keinen Störungen ausgesetzt. Wichtig ist hier insbesondere, dass die Hausmüll-Abholung funktioniert: Es geht dabei auch um Seuchenprävention.

Die gesamteuropäische Versorgungssicherheit ist durch das Sicherstellen des freien Güter- bzw. Warenverkehrs sowohl auf Schiene als auch Straße gesichert. Dass dieser Verkehr auch in einer Krise weiter fließt, hat oberste Priorität, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Ressort wurden daher auch einige Ausnahmen erlassen, etwa jene von Lenk- und Ruhezeitbestimmungen oder Fahrverbote aufgehoben, um auf geänderte Bedingungen zu reagieren. Die ASFINAG sorgt parallel für die jederzeit funktionstüchtige Autobahn- und Schnellstraßen-Infrastruktur: Alle Tunnel werden überwacht, alle Straßen sicher gehalten (etwa auch mit Winterdienst-Einsätzen). Und alle Rastplätze sind geöffnet, damit sich vor allem die derzeit so geforderten Lkw-Lenker ausruhen können.

Der grenzenlose Warenverkehr funktioniert natürlich auch weiterhin im Bahnbereich: Güterverkehr-Verbindungen bleiben aufrecht, an den Grenzen werden Lok und Lokführer gewechselt, das Personal als Sicherheitsmaßnahme immer getauscht. Generell gilt, dass die Verbindungen innerhalb von Österreich aufrecht bleiben, auch im Personenverkehr, damit jene, die die kritische Infrastruktur am Laufen halten, auch in die Arbeit kommen. Hohe Hygienemaßnahmen sind seit Wochen in den öffentlichen Verkehrsmitteln Standard.

© Cajetan Perwein

Wir stehen aktuell noch ziemlich am Anfang dieser Situation. Viele Menschen machen sich jetzt Sorgen und fragen sich, wie es weitergeht. Wie gut und stabil ist die Infrastruktur in Österreich aufgestellt? Wie lange lässt sich ein Shut-Down durchhalten? Wie können Sie den BürgerInnen der Republik jetzt Mut machen?

Die Infrastruktur ist wie gesagt sehr gut aufgestellt. Wie lange wir Maßnahmen aufrechterhalten müssen, wann es neue geben wird, das wird Tag für Tag neu analysiert und im Krisenstab der Regierung bewertet.

In der Krise wird sichtbar, wie wichtig langfristige Investitionen in gute Infrastruktur und hochkompetente Systeme nicht nur im Gesundheitssystem, sondern auch im Öffentlichen Verkehr, bei Versorgungsunternehmen (Energie, Wärme) oder im Öffentlichen Dienst sind. Es ist wichtig, dass der Staat langfristig gestalten kann, auch im Hinblick auf die Klimakrise, die ebenfalls resiliente, also widerstandsfähige, Infrastrukturen verlangt.

Was ich aktuell erlebe – und das macht Mut – ist, dass die Menschen in Österreich diese Herausforderungen annehmen. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie Ihr tägliches Leben auf die neuen Gegebenheiten anpassen. Zusammenhalt in dieser Ausnahmesituation schafft Mut. Und nur gemeinsam schaffen wir das!

Was sind Dinge und Maßnahmen, die jede/r Einzelne zur Stabilisierung der Infrastruktur in Österreich beitragen kann?

Jeder Einzelne kann dazu beitragen, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen – und schützt damit nicht nur sich selbst und seine Familie und Freunde, sondern stabilisiert damit die Infrastruktur in Österreich. Es geht vordringlich darum, Kontakte einzuschränken. Es sollen ausschließlich jene Wege erledigt werden, die unbedingt notwendig sind, etwa zum Lebensmitteleinkauf oder um hilfsbedürftige Menschen zu betreuen oder wenn es die berufliche Tätigkeit verlangt. Bei all diesen Wegen ist dabei ein Mindestabstand von einem Meter, besser sind zwei Meter, einzuhalten. Auch bei etwas Bewegung im Freien. Ansonsten sollen das Telefon oder andere technisch Möglichkeiten genutzt werden. Das alles schützt uns, die Infrastruktur und die Menschen, die im Bereich der Infrastruktur arbeiten – etwa im Lebensmittelhandel oder im Güterverkehr. Sie halten das Land am Laufen. Sie müssen geschützt werden.

Europa hat seine Außengrenzen für zunächst 30 Tage geschlossen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten treffen aber teils sehr unterschiedliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Wie wichtig ist jetzt das gemeinsame Vorgehen auf EU-Ebene, um einerseits die Verbreitung des Virus zu verhindern und andererseits die paneuropäische Wirtschaft, Versorgung und Infrastruktur aufrecht zu erhalten?

Österreich hat von Tag Eins der Corona-Krise daran gearbeitet, die Grenzen für den Güterverkehr offen zu halten. Mit seiner zentralen Lage in Europa hat Österreich hier eine besondere Rolle. Als am wichtigsten hat sich dabei herausgestellt, dass die EU-Mitgliedsstaaten in der Region aktiv zusammenarbeiten. Probleme haben sich durch nicht abgestimmte Alleingänge ergeben. Dann hat der europäische Geist gefehlt und das hat teilweise auch zu Auswirkungen nicht nur auf das Nachbarland, sondern auch für andere geführt. Initiativen der Europäischen Kommission sind überall dort willkommen, wo Kooperation und Informationsaustausch gestärkt werden.

Die wesentlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind primär national; stellenweise sogar föderal – speziell in Deutschland. Schadet Corona auch dem europäischen Gedanken? Sehen Sie einen verstärkten Trend ’national statt europäisch‘ auf uns zukommen? 

Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, den europäischen Gedanken hochzuhalten. In den großen Fragen der Zukunft – Bewältigung von wirtschaftlichen Herausforderungen nach der Krise im Einklang mit dem Klimaschutz – kann es nur gemeinsam Lösungen geben. Alle Regierungen der EU haben sehr beherzt und so wie wir Überbrückungs- und Notfallpakete für die Wirtschaft geschnürt, um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen in den Griff zu kriegen. Die EU wird stark gefordert sein, gemeinsame Wege aus der Krise zu finden. Die Europäische Union wird in und nach dieser Krise stark zusammenstehen müssen.

Die Corona-Krise zeigt jetzt aber auch unsere Abhängigkeiten von großen globalen Entwicklungen. Die Besinnung auf die Widerstandfähigkeit regionaler Strukturen ist gut für unsere Versorgungssicherheit. Alles, was kürzere Wege und regionale Wirtschaftskreisläufe bedeutet, ist außerdem auch gut für den Klimaschutz. Wobei „Region“ auch den Donauraum oder die Europäische Union bedeuten kann. Im Rahmen des Green Deals der EU muss man sich genau anschauen, welche Produktionen wir in Europa wieder stärker verankern wollen.

Ihre Regierungsarbeit hat mit sehr progressiven und ambitionierten Zielen begonnen. Jetzt scheinen alle Themen abseits des Corona-Virus erstmal auf Eis zu liegen. Der Klimawandel nimmt auf derartige Entwicklungen allerdings keine Rücksicht – auch wenn der weitgehende globale Reisestopp natürlich dem Klima vorübergehend gut tut… Ist es möglich, trotz aller Einschränkungen eine Art Normalbetrieb im Ministerium zu erhalten?

Wir stemmen uns gerade mit aller Kraft gegen die weitere Ausbreitung des Corona-Virus, auch für mich hat das oberste Priorität. Wir sehen an dieser Krise, wozu wir eigentlich fähig sind, im Kampf gegen eine existenzielle Bedrohung. Ich denke, wir werden für den Kampf gegen die Klimakrise einiges mitnehmen können.

Wir haben aktuell fast 600.000 Menschen ohne Arbeit in Österreich. Im Kampf gegen die Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise wird es ein Konjunkturpaket brauchen. Und das wird gleichzeitig ein Klimaschutzpaket sein.

Wir tun jetzt alles, um die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Wenn wir die Wirtschaft nach der Krise wieder aufrichten, müssen wir dabei in eine neue Richtung denken: Klimaschutz ist das beste Konjunkturpaket. Viele Projekte, die im Klimaschutzministerium zuhause sind, schaffen Arbeitsplätze in großem Stil. Wenn man einen alten Ölkessel durch eine klimafreundliche Heizung ersetzt, macht das der Installateur aus der Gegend und es ist gleichzeitig gut für das Klima. Auch beim Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, dem Ausbau erneuerbarer Energien, bei der Thermischen Sanierung von Gebäuden ist es so – mit jeder Million, die wir investieren, schaffen wir Arbeitsplätze und schützen das Klima.

Sehr geehrte Frau Minister, wir danken für das ausführliche Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrem Team alles Gute – persönlich und für Ihre Gesundheit, aber natürlich auch für Ihre Arbeit für unser Land!

 

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